Wie kann die Ljubljana-Haager-Konvention der Welt und der Ukraine im Kampf mit dem internationalen Verbrechen helfen?
Am 26. Mai 2023 stimmten in Ljubljana (Slowenien) 80 Staaten, darunter die Ukraine, dem Text der Konvention über internationale Zusammenarbeit bei der Untersuchung und Verfolgung von Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und anderen internationalen Verbrechen zu. Die Konvention soll im Januar 2024 in Den Haag unterzeichnet werden.
Weshalb ist die Ljubljana-Haager-Konvention wichtig?
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts sind nach internationalem Recht bestimmte Handlungen ausdrücklich nach dessen Normen untersagt. Sie gelten nach internationalem Recht als Verbrechen. Dazu gehören Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression. Die internationalen Rechtsnormen, die diese Verbrechen verbieten, bilden einen eigenen Zweig des internationalen Rechts — das internationale Strafrecht.
Um Verbrechen nach dem internationalen Recht zu verfolgen und zu bestrafen, kann die internationale Gemeinschaft internationale Tribunale ins Leben rufen. Eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung des internationalen Strafrechts kommt dabei den Staaten zu. Sie sind zunächst dazu verpflichtet, auf nationaler Ebene dafür zu sorgen, dass Verbrechen im Sinne des internationalen Rechts nicht ungesühnt bleiben. Dieser Verpflichtung nachzukommen ist allerdings nicht selten schwierig. Jene, die sich internationaler Verbrechen schuldig gemacht haben, stehen gewöhnlich nicht für Verfahren in dem Staat zur Verfügung, wo die Tat stattgefunden hat, ja nicht einmal in dem Staat, dessen Bürger sie sind. Sie suchen vielmehr „sichere Zufluchtsorte“, um sich dort auf Dauer vor Ermittlungen und Gerichtsverfahren zu schützen. Deshalb hängt die strafrechtliche Verfolgung von Personen, die internationale Verbrechen begangen haben, häufig von einer effizienten internationalen zwischenstaatlichen Zusammenarbeit ab. Eine solche Zusammenarbeit kann unter anderem die Auslieferung Verdächtiger aus einem Staat an einen anderen, die Übertragung des Strafverfahrens von einem Staat in einen anderen oder die Vollstreckung eines in einem anderen Staat gefällten Urteils im eigenen Hoheitsgebiet bedeuten.
Leider zeigt die Geschichte, dass die internationale zwischenstaatliche Zusammenarbeit bei Verfahren wegen Verbrechen nach internationalem Recht oft alles andere als effizient ist. Staaten, bei denen ein Antrag auf internationale Zusammenarbeit eingeht, suchen diese aus verschiedenen, insbesondere politischen Erwägungen vielfach zu vermeiden. So lehnte die bolivianische Regierung wiederholt den Auslieferungsantrag Frankreichs für Klaus Barbie ab. Die französische Regierung suchte Barbie wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zweiten Weltkrieg. Die Befürchtung, dass sich die internationale Zusammenarbeit als ineffizient erweisen könnte, hat einzelne Staaten schon dazu veranlasst, um der Gerechtigkeit willen Maßnahmen zu ergreifen, die selbst gegen internationales Recht verstoßen. Das krasseste Beispiel hierfür ist Adolf Eichmann, den israelische Geheimdienste ohne Auslieferungsverfahren aus Argentinien nach Israel verbrachten, also praktisch entführten. Eichmann hatte im Zweiten Weltkrieg den Mord an den ungarischen Juden organisiert.
Die Ljubljana-Haager-Konvention soll eindeutige Antworten auf die Probleme geben, die seit Jahrzehnten in der internationalen Zusammenarbeit bei Taten bestehen, die im Sinne des internationalen Rechts Verbrechen sind. Unter anderem sieht die Konvention in der Zusammenarbeit bei Verfahren wegen Genozids, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen für die Staaten folgende Verpflichtungen vor (leider räumt die Konvention beim Verbrechen der Aggression den Staaten die Möglichkeit ein, nach eigenem Ermessen vorzugehen):
1. Es wird strikt festgehalten, dass diese Verbrechen nicht als politisch gelten. Das heißt, dass ein Staat einem anderen die Auslieferung eines Verdächtigen, etwa bei einem Kriegsverbrechen, nicht allein mit dem Argument verweigern kann, dass diese Art des Verbrechens in ersterem Staat als politisch definiert wird und sich die internationale zwischenstaatliche Zusammenarbeit gewöhnlich nicht auf politische Verbrechen bezieht.
2. Die Konvention verbietet es den Staaten kategorisch, sich bei der Ablehnung der Zusammenarbeit auf Verjährung zu berufen.
3. Die Konvention fordert ausdrücklich, dass ein Staat, der Auslieferungsbegehren eines anderen Staates oder eines internationalen Tribunals ablehnt, seinerseits ein Strafverfahren gegen die betreffende Person wegen mutmaßlichen Genozids, mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen durchführt.
Ohne Zweifel wird die Ljubljana-Haager-Konvention nach ihrem Inkrafttreten bei der Umsetzung des internationalen Strafrechts auf nationaler Ebene einen wesentlichen Fortschritt bringen.
Welche Bedeutung kann die Ljubljana-Haager-Konvention für die Ukraine haben?
Die Unterzeichnung und Ratifizierung der Ljubljana-Haager-Konvention wird der Ukraine zusätzliche Möglichkeiten bieten, strafrechtlich gegen russische Staatsbürger vorzugehen, die auf ukrainischem Gebiet internationale Verbrechen begangen haben. Natürlich kann die Konvention niemanden erreichen, der sich auf russischem Territorium verborgen hält. Russland hat an der Vorbereitung des Vertragstextes nicht teilgenommen und wird sich ihm in absehbarer Zeit kaum anschließen. Allerdings macht die Konvention die Welt wesentlich „unsicherer“ für jene, die sich ins Ausland begeben, denn dem Vertragstext vom 26. Mai 2023 haben nicht nur europäische, sondern auch asiatische, afrikanische und lateinamerikanische Staaten zugestimmt. Deshalb erschließt die Konvention der Ukraine offensichtlich mehrere juristische „Pfade“, die die ukrainischen Rechtsorgane hoffentlich so effizient wie möglich nutzen werden.
Andererseits sollte die Ljubljana-Haager-Konvention keine überhöhten Erwartungen wecken. Zum Beispiel ist ihr Nutzen äußerst begrenzt, wenn es darum geht, Personen strafrechtlich zu verfolgen, die für die Aggression russischer Funktionäre in der Ukraine verantwortlich sind. Denn der Vertragstext enthält, wie gesagt, keine bedingungslosen „strengen“ Verpflichtungen im Hinblick auf dieses Verbrechen im Sinne des internationalen Rechts. Ebenso ist es wenig wahrscheinlich, dass die Konvention die Verfolgung und Bestrafung russischer Staatsbürger erleichtert, die sich auf dem Territorium solcher Staaten aufhalten, die geographisch in der Nähe der Ukraine und Russlands liegen, wie Aserbajdzhan, Armenien oder der Türkei, da diese Staaten kein Interesse an diesem internationalen Vertrag bekundet haben. Die 80 Staaten, die am Text beteiligt und ihm zugestimmt haben, sind natürlich keine geringe Anzahl. Andererseits zählt die UNO derzeit 193 Mitgliedsstaaten.
Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass die Ljubljana-Haager Konvention für die Ukraine nicht nur neue Möglichkeiten eröffnet, sondern sie auch verpflichtet, ihre Hausaufgaben in der nationalen Gesetzgebung zu machen. So fordert die Konvention von ihren Mitgliedsstaaten, auf nationaler Ebene Taten unter Strafe zu stellen, die nach internationalem Recht einen Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen darstellen. Deshalb werden hier zwei Probleme aktuell, nämlich dass es im ukrainischen Strafrecht keine eigene Bestimmung zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit gibt und dass die Bestimmungen zu Kriegsverbrechen unzureichend sind. Diese beiden Probleme hätten zudem längst durch das bereits am 7. Juni 2021 verabschiedete Gesetz über die Implementierung der Normen des internationalen Strafrechts und des humanitären Völkerrechts gelöst werden können. Allerdings hat es der ukrainische Präsident bis heute nicht unterzeichnet.