Die Mutter zweier Kinder, die in Melitopol entführt wurde, wurde gefoltert und in Moskau gefangen gehalten

Wie soll man Kindern erklären, dass die Russen, die in ihr Haus eingedrungen sind, ihre Mutter gefangen halten und sie als „Terroristin“ bezeichnen?
Halya Coynash31. Juli 2023UA DE EN ES FR IT RU

Яніна Акулова.Скріншот із відео ФСБ Yanina Akulova Screenshot from the FSB video Янина Акулова. Скриншот из видео ФСБ

Janina Akulova. Screenshot aus einem FSB-Video

Slata, die sechsjährige Tochter von Janina Akulova, weiß nicht, warum sie ihre Mutter schon so viele lange Monate nicht gesehen hat. Ihre Schwester Vika ist bereits 14 Jahre alt, und die Familie war der Auffassung, dass sie wissen sollte, dass ihre Mutter in Moskau im Gefängnis sitzt. Sie wurde von Russen dorthin entführt, die ihre Heimatstadt Melitopol besetzt und ihr ganzes Leben aus den Fugen gebracht haben.

Leider ist dies nur ein Teil der Geschichte. Denn Janina befand sich schon ganze sechs Wochen im Gefängnis, bevor sie ans Moskauer Lefortovo-Bezirksgericht überstellt und offiziell in Haft genommen wurde. Sie konnte ihre Schwester anrufen, und aus diesem ersten kurzen Gespräch wissen wir, dass das FSB zumindest einen Teil dieser Zeit genutzt hat, um Janina mit Folterungen dazu zu bringen, „irgendwelche Dokumente“ zu unterschreiben. Wie bei anderen ukrainischen politischen Gefangenen musste man dann im FSB abwarten, bis die Blutergüsse verschwunden waren, bevor dann offiziell eingeräumt wurde, dass sie sich in Haft befindet.

Melitopol im Gebiet Zaporizhzhia war eine der ersten Städte, die Russland 2022 besetzte. Sie befindet sich nach wie vor unter russischer Okkupation. Janina Akulova war mit ihrer Familie in der Stadt geblieben, wahrscheinlich in der Erwartung, dass die ukrainischen Truppen sie befreien würden. Akulovas Schester, Kateryna Radtschenko, erklärte dem Menschenrechtszentrum „Smina“, dass sich die Situation änderte, nachdem Russland im September 2022 das Pseudo-„Referendum“ durchgeführt hatte. Da sie fürchtete, dass die Besatzer versuchen könnten, ihren Mann gewaltsam zu „mobilisieren“, drängte Janina Akulova darauf, dass er mit den Kindern die Stadt verließ. Sie selbst wollte zeitweilig noch dort bleiben, um eine Bleibe für ihre Hunde, den Papagei und die Hühner zu finden.

Dass Akulova verschwunden war, wurde erst am 12. Oktober 2022 bekannt. Kateryna weiß inzwischen, dass ihre Schwester tags zuvor von russischen Soldaten an einem Kontrollposten festgenommen wurde. Man brachte sie um 2 Uhr nachts ins Haus der Familie. Die Russen führten eine Haussuchung durch, vermutlich suchten sie Sprengstoff, fanden aber nichts. Offensichtlich kehrten sie danach noch mehrfach dorthin zurück.

Wie üblich bestritten die Besatzungs-„Behörden“, dass sie etwas über den Aufenthaltsort von Akulova wüssten. Die russische „Polizei“ weigerte sich, die Vermisstenanzeige der Familie zu registrieren.

Die folgenden sechs Wochen waren für die Familie die Hölle. Sie wusste nur, dass Janina von Russen festgenommen worden war, die ihrerseits behaupteten, nicht zu wissen, wo sie sich befindet.

Антон Жуковський, Дмитро Сергєєв та Яніна Акулова. З відеозаписів, на яких чоловіки із затуманеними обличчями повторюють один і той же “текст”, якого майже напевно вимагають від них, і не називають своїх імен. Anton Zhukovsky, Dmytro Sergieiev and Yanina Akulova From the videos where the men, their faces obscured, repeat the same ’text’ almost certainly demanded of them and do not give their names. Антон Жуковский, Дмитрий Сергеев и Янина Акулова Из видеозаписей, на которых мужчины с затуманенными лицами повторяют один и тот же “текст”, почти наверняка требуемый от них, и не называют своих имён.

Anton Zhukovskyj, Dmytro Sergjejev und Janina Akulova. Aus Videoaufzeichnungen, auf denen die Männer mit abgedunkelten Gesichtern ein- und denselben „Text“ wiederholen, so wie er offenbar von ihnen verlangt wurde, und ohne ihre Namen zu nennen.

Am 24. November erklärten die russische staatliche Nachrichtenagentur TASS und das Fernsehen, dass die Russen im besetzten Melitopol eine „Terrorbande“ unter Leitung von Janina Akulova aufgedeckt hätten, die angeblich einen Terroranschlag auf dem Markt geplant hätte. Hier ist festzuhalten, dass sich alle Partisanenangriffe ausschließlich gegen Militärobjekte und gegen jene Kollaborateure richteten, die die Besatzer eingesetzt hatten. Das allein schon macht die Anschuldigungen unwahrscheinlich. Außerdem sind sie äußerst zynisch: Das Land, das in das Haus der drei Ukrainer eingedrungen ist, entführt diese, bringt sie illegal nach Moskau und stellt sie nach russischen Gesetzen wegen wahrscheinlich fiktiver Handlungen unter Anklage, die sie auf ukrainischem Territorium begangen haben sollen. In den Mitteilungen hieß es, neben Janina Akulova seien noch zwei weitere Ukrainer „verhaftet“ worden: Dmytro Sergjejev und Anton Zhukovskyj. Janinas Familie hat keine Ahnung, wer diese beiden sind. Ein weiterer typischer Aspekt in diesem Fall ist, dass die Russen behaupten, diese Personen hätten auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet ein Verbrechen begangen und seien von ukrainischen Sicherheitsorganen de facto erpresst worden: Sie hätten einen „Terrorakt“ in Melitopol ausgeführt, um einer Strafverfolgung zu entgehen. Moskau versucht, eine fast hundertprozentige Unterstützung eines „Anschlusses an Russland“ zu reklamieren, und wenn es sie des „Terrorismus“ beschuldigt, scheint es opportuner, sie als Söldner oder ähnliches auszugeben. Allerdings fällt auf, dass bei der Videoaufzeichnung, die wahrscheinlich vom FSB stammt, die Gesichter der beiden Männer mit Absicht unscharf gemacht wurden, das Gesicht von Janina Akulova jedoch nicht.

Das Zentrum für journalistische Untersuchungen hatte zuvor berichtet, dass das russische FSB auch behauptet, die drei Ukrainer hätten am 18. September 2022 ein Auto in die Luft gesprengt, in dem sich Michail Schtschetinin und Sergej Gorbunov befanden, russische Staatsbürger, die das Invasionsregime in der Besatzungs-„Administration“ zu hohen Funktionären ernannt hatte.

Leider nehmen russische Soldaten manchmal ukrainische Patrioten gefangen, die an Partisanenangriffen auf solche legitimen Ziele beteiligt sind. Ihre „Statistik“ über angeblich aufgedeckte Verbrechen stützen sie indes häufig auf Festnahmen, die aufgrund der nationalen Zugehörigkeit der betroffenen Personen und/oder wegen ihrer proukrainischen Positionen erfolgen. Die dabei eingesetzten Methoden, insbesondere Videoaufzeichnungen mit „Geständnissen“, die unter der Folter zustande gekommen sind, machen es für solche FSB-Mitarbeiter irrelevant, ob die betreffende Person tatsächlich irgendwie in ein Verbrechen involviert war.

Die Beschuldigungen, die der Besatzerstaat vorbrachte, fallen unter die Artikel 30 § 1 und 205.4 § 2 des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation (Verschwörung zur Ausführung eines Terroraktes in einer organisierten Gruppe) sowie unter die Artikel 222 § 4 (illegale Aufbewahrung von Waffen) und 222.1 § 4 (illegale Aufbewahrung von Sprengstoff). Darauf stehen Haftstrafen von 12 bis 20 Jahren. Die „Gerichtsverhandlung“ wird vermutlich in jenem Südlichen Militärbezirksgericht in Rostov stattfinden, das bereits mehr als 100 Krimtataren und andere ukrainische politische Gefangene zu langjährigen Haftstrafen verurteilt hat.

So behauptet Russland, die drei Ukrainer seien erst am 24. November 2022 verhaftet worden, obwohl bekannt ist, dass sich zumindest Janina Akulova seit dem 11. Oktober in russischer Gefangenschaft befindet. Der Grund für diese Verschleierung ist leider klar. In dem ersten der vier kurzen Telefongespräche, die Akulova führen konnte, nachdem die Russen ihre Festnahme zugegeben hatten, erzählte sie, dass man sie zwei Tage lang geschlagen und gezwungen hätte, Dokumente zu unterzeichnen, die man ihr vorlegte. Danach hielt man sie an einem unbekannten Ort gefangen, bis die Folterspuren nicht mehr zu sehen waren, und brachte sie danach nach Moskau.

Während der letzten kurzen Gespräche weinte Janina, Fragte nach ihren Töchtern und sagte, sie sehne sich sehr nach ihnen und nach ihrer Familie.

Inzwischen wurde ein Anwalt gewonnen, um Janina vor Gericht zu vertreten und sie mit Lebensmitteln und anderen notwendigen Dingen im Lefortovo-Untersuchungsgefängnis zu versorgen. Die Familie hatte dafür Geld überwiesen. Die Haftbedingungen sind in jeder russischen Haftanstalt katastrophal, und der Anwalt berichtet, Janina habe während ihres Aufenthalts in russischer Gefangenschaft 15 Kilo an Gewicht verloren. Besondere Sorge bereitet, dass Janina an Asthma leidet und einen Inhalator benötigt. Sie hat ihren Angehörigen versichert, dass sie alles Notwendige bekommt. Jedoch können diese Zusicherungen, dass mit ihr alles in Ordnung sei, auch von ihrem Wunsch diktiert sein, ihre Angehörigen und besonders ihre alte Mutter nicht zu beunruhigen. Lange Zeit saß sie in Einzelhaft. Vor kurzem wurde allerdings eine sechzigjährige Frau aus dem Gebiet Zaporizhzhia zu ihr in die Zelle gelegt.

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