Schüler auf der Krim bekommen schlechtere Noten, wenn sie keine „Dankesbriefe“ an russische Soldaten geschrieben haben
Die Initiative „Krim-Diskurs“ hat in Erfahrung gebracht, dass Schüler auf der russisch besetzten Krim schlechtere Jahresnoten bekommen, weil sie keine „Dankesbriefe“ an Soldaten verfasst haben, die Krieg gegen die Ukraine führen. Mindestens in drei Fällen haben, ihrem Bericht zufolge, Lehrer den Schülern ganz offen erklärt, wofür sie in dieser Weise bestraft werden.
Diese Information unabhängig zu überprüfen ist nicht möglich. Für die Schüler oder ihre Eltern wäre es gefährlich, ihre Namen zu veröffentlichen, und die Lehrer würden einen derartigen Zusammenhang ohnehin bestreiten. Allerdings wären Repressalien dieser Art typisch, wenn man bedenkt, was seit Beginn der russischen Vollinvasion in die Ukraine unternommen wird, um ukrainische Kinder in den besetzten Gebieten zu zwingen, sich bei Soldaten zu „bedanken“, die andere Ukrainer töten.
Über solche unter Zwang verfassten Briefe berichtete zuerst die Krim-Menschenrechtsgruppe im April 2022. Die Lehrerin einer Schule auf der Krim berichtete, dass es in jeder Klasse eine ganze Schulstunde für den „Brief an einen Soldaten“ geben müsse. Jede Schule muss ein bestimmtes Quantum solcher Briefe liefern, je nach Anzahl der Schüler. Außerdem wurden die Eltern in Schul-Chats befragt, ob eines der Kinder solche Briefe geschrieben habe.
Analoge Briefe von Kindern, die für die russische militaristische „Junarmija“ (Jugendarmee) angeworben worden waren, wurden auf Propaganda-Seiten der russischen Besatzung platziert. Letztere sagen natürlich nichts zu den Zwangsmethoden, die angewandt wurden, um solche Briefe zu erhalten, und auch nichts zur Anwerbung der Kinder für die „Armee“, die mit vollem Recht mit der nationalsozialistischen „Hitlerjugend“ verglichen wird. Im September 2022 rühmte die Propaganda-Zeitung „Krymskie izvestija“, dass in einem Bezirk mehr als 600 Briefe „zur Unterstützung der Truppen der Russischen Föderation für die ‚Verteidiger des Vaterlandes‘“ eingegangen seien. Die Zeitung behauptete, dass „Schüler und ihre Eltern, Lehrer und Mitarbeiter von Lehranstalten den Soldaten Worte der Dankbarkeit und Unterstützung schreiben“.
Im Februar 2023 publizierte das Krimtatarische Informationszentrum die Abschrift eines Briefes, der an Lehrer verschickt worden war und der einen Aufruf an die Schüler enthielt, Zeichnungen und Briefe an Russen zu schreiben, die an der „speziellen Militäroperation“, wie sie euphemistisch vom Aggressor-Staat genannt wird, beteiligt sind. Briefe und Zeichnungen von Kindern, deren Väter mobilisiert worden waren, sollten in der „Krymskaja pravda“ erscheinen. Diese Mobilisierung ist ein weiteres Verbrechen Russlands auf besetztem ukrainischem Territorium. Das Krimtatarische Informationszentrum warnt die Lehrer vor der Beteiligung an solchen Kampagnen. Damit würden damit zu Mittätern „bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und machten sich damit strafbar.“
Russland begeht monströse Verbrechen, in den besetzten Gebieten unterzieht es Kinder einer Gehirnwäsche und will sie zwingen, das Land zu unterstützen und sogar dafür zu kämpfen, das die Ukraine überfallen hat und besetzt hält. Nach der Großinvasion kann jegliche offene Unterstützung der Ukraine oder die Ablehnung der russischen Aggression mindestens zu einem Verlust des Arbeitsplatzes und zu administrativer Verfolgung führen, möglicherweise auch zu strafrechtlicher Verfolgung und Inhaftierung. Der Lehrer Andrij Bjeloserov wurde aus dem Institut entlassen und zunächst zu einer Ordnungsstrafe verurteilt. Dann folgte ein Strafprozess wegen „wiederholter öffentlicher Handlungen, die die russischen Streitkräfte diskreditierten“. Er hatte (patriotische) ukrainische Lieder gesungen und in sozialen Netzen authentische Information über russische Bombardements und die Ermordung von Zivilisten verbreitet (detaillierte Informationen hier).
Der Krim-Diskurs hat zudem fünf Fälle verzeichnet, in denen Schülern untersagt wurde, mit Luftballons in den Farben der ukrainischen Flagge zum „letzten Klingelton“ — Veranstaltungen zum Schuljahresschluss — zu kommen. Auch durften sie keine Bänder mit Worten auf Krimtatarisch und mit den Farben der krimtatarischen Flagge tragen, angeblich wegen ihrer Ähnlichkeit mit den ukrainischen Nationalfarben. In zwei Fällen wurde Kindern die krimtatarische Fahne mit der Begründung verboten, dass sie kein „Staatssymbol der Russischen Föderation“ sei. Während die Zahl möglicher Anklagen nach der russischen Großinvasion in die Ukraine zunahm und eine ukrainische Flagge im Fenster zu einer Anklage wegen „Diskreditierung der russischen Armee“ führen kann, wurde praktisch sofort nach der russischen Invasion und der Annexion der Krim das Zeigen der ukrainischen wie der krimtatarischen Flaggen.