Ein amerikanischer Freiwilliger in der Leichenhalle von Butscha
Ich bin Darrell Patrick Loveless aus Arkansas in den USA. Ich war im letzten Jahr hier in Butscha, im April, sofort nachdem die Russen die Stadt verlassen hatten. Ich habe im Leichenschauhaus mit der ukrainischen Polizei und der Kriminalpolizei der französischen Gendarmerie gearbeitet und mit eigenen Augen die Gräueltaten gesehen, die die Russen begangen haben. Das war sehr schwer.
Meine Arbeit bestand darin, die nicht identifizierten Leichen von den LKWs zu holen, wenn sie gebracht wurden. Wir trugen sie in ein Zelt, wo französische und ukrainische Ärzte Autopsien durchführten. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, was die russischen Soldaten, die die Stadt besetzt hatten, angerichtet haben. Die Vielfalt der Methoden, mit denen sie Menschen töteten und folterten. Die Abdrücke von Seilen an gefesselten Händen. Schusswunden, Schrapnellwunden. Die Russen hatten überall viele Minen gelegt: in Kinderspielplätzen, in Kirchen, auf den Straßen — überall, wo Menschen unterwegs waren, überall, wo sie irgendjemandem Schaden zufügen konnten.
Die Leichen von Hunderten von Menschen landeten in der Leichenhalle. Das war wirklich sehr schwer. Es waren Familien darunter.
Viele Menschen konnten nicht mehr identifiziert werden: Sie hatten so lange unter freiem Himmel gelegen, dass wir sie nicht mehr erkennen konnten. Das französische Team brachte seine DNA-Spezialisten dorthin. Den Menschen wurden DNA-Proben entnommen, um herauszufinden, wer sie waren.
Wir bekamen etwa 14 Leichen am Tag, plus 200-300 Leichen, die schon in Lastwagen oder Kühltransportern waren. Die Menschen wurden in ihren Gärten getötet und begraben. Wir haben diese Grabstätten gesehen, ich habe mit einigen Familienangehörigen gesprochen. Der Mann von Ljudmyla wurde von einem russischen Scharfschützen erschossen, einfach weil er auf die Straße gegangen war. Das war furchtbar. Das war wahrscheinlich das Herausforderndste, was ich je tun musste. Ich bin Kriegsveteran der Vereinigten Staaten von Amerika, habe Opfer des Krieges gesehen, seine Folgen, alles, was im Krieg geschieht. Aber das war anders als alles, was ich jemals gesehen habe. Diese riesige Anzahl von getöteten Menschen. Das war Mord.
Ich war über einen Monat dort. Wir arbeiteten 12-14 Stunden am Tag, um festzustellen, wie diese Menschen getötet worden waren, welche Art von Munition verwendet wurde usw. Die meisten Opfer, die ich gesehen habe, waren Frauen, ältere Menschen und Kinder. Wir haben sehr wenige Männer im wehrpflichtigen Alter gesehen. Das war schrecklich. Es gab keinerlei Grund, diese Menschen zu töten. Bei den meisten Wunden handelte es sich um Schussverletzungen im Kopf. Die Verletzungen belegen, dass sie hingerichtet wurden. Das waren nicht diese Art von Fällen, in denen die Menschen zufällig verletzt wurden, weil sie auf der Straße zwischen kämpfende Soldaten gerieten. Das waren Hinrichtungen, Morde und Folterungen. Es gab viele Verletzungen am Körper. Die Menschen wurden lebendig verbrannt, die Menschen wurden einfach vernichtet. Als hätte man sie mit Benzin übergossen und angezündet.
Aus Gesprächen mit einigen Technikern der Gendarmerie weiß ich, dass sie Proben von Sprengstoffresten genommen haben, um herauszufinden, was das für Sprengstoff war und wo er produziert wurde. Um herauszufinden, ob der größte Teil der Munition, der aus den Körpern der Toten geholt wurde, in Russland hergestellt wurde. Russische Munition von russischen Soldaten.
Ein Jahr ist vergangen. Ich sehe diese Menschen immer noch in meinen Träumen. Das hat mich für immer verändert. Das wohl Schwierigste, was ich jemals in meinem Leben tun musste, war, Familienangehörigen zu helfen, in Kühltransporter zu steigen, damit sie die Leichensäcke durchsehen und feststellen konnten, wo sich ihre Liebsten befinden.
Die Massengräber. Das war unerträglich. Ein Jahr ist vergangen, aber ich fühle den Schmerz noch immer.
Meine Frau Sarah und ich sind vor einigen Wochen in die Ukraine umgezogen, wir wollen den Status eines ständigen Wohnsitzes erhalten, wollen im Land bleiben und die Ukraine auf jegliche Weise unterstützen. Zurzeit unterrichte ich im Lyzeum MAUP in Kyjiv Englisch. Ich arbeite mit Schülern der 4., 6., 10. und 11. Klasse, gebe Unterricht in Englisch. Meine Frau ist Psychologin, macht den Master-Abschluss. Sie arbeitet jetzt online für eine Firma in Amerika. Wir haben entschieden, in der Ukraine zu leben. Ich fühle mich Butscha und seinen Bewohnern verbunden. Es ist eine wunderbare Stadt. Wir haben eine Wohnung hier in Butscha.
Ich war an vielen Orten und spüre bis jetzt den Geruch des Todes in der Luft. Ich spüre immer noch den Brandgeruch, obwohl schon ein Jahr vergangen ist. Ich weiß, dass er nicht mehr da ist, aber er ist immer noch in meinem Kopf. Das, was ich im vergangenen Jahr in Butscha gesehen habe, bleibt für immer in meiner Erinnerung. Niemals habe ich etwas Vergleichbares gesehen. Die Menschen, die diese Verbrechen begangen haben, die russischen Soldaten, die hier waren, müssen zur Verantwortung gezogen werden. Vladimir Putin muss zur Verantwortung gezogen werden. Weil von ihm alles abhängt. Er ist der Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte, er trägt dieselbe Verantwortung für das, was geschehen ist, wie jeder beliebige Andere, der hier war.
Wie ich bereits sagte, sind wir nach Butscha gezogen. Ich liebe Butscha.
Die Ukrainer, das sind die stärksten Menschen, die mir jemals in meinem Leben begegnet sind. Ihre Kraft gibt mir Kraft.
Sie bewirken Wunder auf dem Schlachtfeld und ich fühle mich hier hingezogen. Ich will die Ukraine und Butscha auf jede erdenkliche Weise unterstützen. Englisch unterrichten, an Kampfhandlungen teilnehmen, beim Wiederaufbau helfen, Medikamente an die Front bringen — alles tun, womit ich der Ukraine helfen kann. Das ist der Grund, warum ich hier bin. Ich bin glücklich, dass ich hier sein kann, mich gemeinsam mit meiner Frau hier niederlassen und die Ukraine zu meinem Zuhause machen kann. Ruhm der Ukraine!
Nicht viele Menschen müssen in ihrem Leben 149 Stunden am Tag arbeiten und unbekannte Mordopfer identifizieren. Das dürfte niemals geschehen. Aber alles, was ich gesehen habe, spricht zu 100 Prozent dafür, dass die russische Armee sehr viele Zivilisten getötet hat. Wie ich bereits sagte, das waren alte Menschen, Frauen, vierzehnjährige Mädchen. Einmal musste ich aus dem Leichensack den Körper eines vierzehnjährigen Mädchens herausholen. Ihr Gesicht war kaum zu erkennen. Weil ich wusste, wie jung sie war, war es schwer, sie auf den Tisch zu legen und zuzusehen, wie ihr Körper obduziert wurde. So etwas vergisst man nie. Ihr Leben wurde viel zu früh beendet, aber das war nur ein Fall unter vielen anderen Kindern und Erwachsenen, die ich auf dem Tisch gesehen habe. Mit deutlichen Anzeichen grausamer Behandlung, Folter, von Schussverletzungen und wahllosen Verminungen, die die Russen überall hinterlassen haben, unter anderem auch auf Kinderspielplätzen.
Menschen sterben, weil sie auf einem Kinderspielplatz auf eine Mine treten. So etwas darf niemals passieren.
Viele Nachrichtensender und die Russen sagen, das sei ein Fake. Das ist kein Fake. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Ich kann nicht sagen, wie viele Leichen ich gesehen habe, weil ich aufgehört habe zu zählen. Wir haben sie jeden Tag bekommen. Ganz normale Menschen. Menschen zwischen 65 und 85 Jahren, die offensichtlich keine Gefahr darstellten, aber sie wurden in ihren eigenen Häusern von der russischen Armee umgebracht. Die Beweise sind von der Nationalen Gendarmerie [Frankreichs] und der Nationalen Polizei der Ukraine dokumentiert worden. Sie haben alles dokumentiert. Das ist Mord.