Außenstellen des Internationalen Strafgerichtshofs: Fragen und Antworten

Am 14. September 2023 informierten der Generalstaatsanwalt Andrij Kostin und der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) Karim Khan über die Arbeitsaufnahme der Außenstelle (field office) des IStGH in Kyjiv.
Kostjantyn Sadoja09. Oktober 2023UA DE EN ES FR IT RU

Брифінг Генерального прокурора Андрія Костіна та Прокурора Міжнародного кримінального суду Карім Хана, джерело фото: Офіс Генерального Прокурора Брифинг Генерального прокурора Андрея Костина и Прокурора Международного криминального суда Карим Хана, источник фото: Офис Генерального Прокурора

Briefing des Generalstaatsanwalts Andrij Kostin und des Chefanklägers des IStGH Karim Khan. Foto: Büro des Generalstaatsanwalts

Die Außenstelle wurde auf Grund einer Übereinkunft zwischen dem ukrainischen Ministerkabinett und dem IStGH vom 23. März 2023 eingerichtet.

Nachfolgend finden sich Antworten auf wesentliche Fragen zu den Außenstellen des IStGH.

Hat der IStGH schon früher Außenstellen eingerichtet?

In den ersten Jahren seiner Existenz ging man davon aus, dass es keiner Außenstellen bedürfe und dass die Arbeitsorgane des IStGH ihre Funktionen durch die Entsendung regelmäßiger Missionen in die jeweiligen Staaten erfüllen könnten. Allerdings stellte sich bereits 2005 heraus, dass sich dieses Vorgehen nicht bewährt. Neben der Ukraine sind 2023 Außenstellen des IStGH in Uganda, der Demokratischen Republik Kongo, dem Sudan, der Zentralafrikanischen Republik, in der Elfenbeinküste, Mali und Georgien im Einsatz. Außerdem führt der IStGH bereits seit einigen Jahren Verhandlungen über die Einrichtung eines Büros in Venezuela.

Welche Funktionen erfüllen die Außenstellen des IStGH?

Obwohl bei der Eröffnung des Kyjiver Büros von Seiten des IStGH der Chefankläger anwesend war, wäre es falsch anzunehmen, dass es sich um eine Abteilung seines Büros handelt. Alle Außenstellen gehörten zur Struktur der Kanzlei des IStGH. Nach deren Regeln werden sie von der Kanzlei nach vorheriger Abstimmung mit dem Vorsitzenden des IStGH auf Grund einer Übereinkunft mit dem betreffenden Staat eingerichtet. Deshalb ist es konsequent, dass der damals amtierende Registrar des IStGH Peter Lewis die Übereinkunft mit dem ukrainischen Kabinett für den IStGH unterschrieben hat.

Die Außenstellen haben umfangreiche Funktionen zu erfüllen:

  • die Mitarbeiter der Kanzlei und des Büros des Chefanklägers, für die Anwälte der Verteidigung, die Vertreter der Opfer und die Stiftung für Opfer bei ihren Missionen in den jeweiligen Staaten technisch, logistisch und organisatorisch zu unterstützen;
  • den Sitz des IStGH über sozialpolitische Vorgänge und über die Sicherheitslage im jeweiligen Land zu informieren;
  • Kontakte zu den entscheidenden Partnern in den betreffenden Staaten herzustellen und zu pflegen, einschließlich der Staatsorgane und internationalen Regierungsorganisationen, der Medien und der Zivilgesellschaft, um die Arbeitsorgane des IStGH bei ihren Aufgaben zu unterstützen;
  • Anträge von Opfern auf Schadensersatz zu registrieren.

Da die Außenstellen Mitwirkende an Strafverfahren unterstützen, die ganz unterschiedliche Interessen verfolgen, ist das Hauptprinzip ihrer Tätigkeit die Neutralität.

Obwohl das Büro in Kyjiv nicht über Ermittler oder z. B. forensische Experten verfügen wird, heißt das nicht, dass der IStGH diese nicht in die Ukraine entsenden wird. Im Büro des Chefanklägers wurde eine gemeinsame Ermittlungsgruppe (Ukraine) gebildet, die sich ausschließlich mit der Untersuchung internationaler Verbrechen befasst, die mit der Situation in der Ukraine zu tun haben. Im Budget des Gerichts für 2023 wurden Mittel für 22 internationale Mitarbeiter der gemeinsamen Ermittlungsgruppe vorgesehen (Ermittler, Experten, Analytiker und Juristen), die Missionen in der Ukraine durchführen sollten, sowie für weitere sieben nationale Fachkräfte.

Wer finanziert die Arbeit der Außenstellen des IStGH?

Die Arbeit der Büros wird aus dem Haushalt des IStGH finanziert. 2023 wurden für die Außenstelle in der Ukraine 931.500 Euro eingeplant, und für 2024 sollen 2.070.400 Euro bereitgestellt werden. Zum Vergleich sei die Außenstelle in der Elfenbeinküste herangezogen. Für 2023 wurden für das dortige Büro 650.100 Euro veranschlagt, und für 2024 sind es 534.400 Euro. Dieser Vergleich ist aussagekräftig, da sich beide Länder im Stadium der Vorermittlung befinden. Der Unterschied fällt deutlich zugunsten des Kyjiver Büros aus, was eines von vielen Anzeichen dafür ist, wie wichtig dem IStGH die Ermittlungen in der Ukraine sind.

Die Mittel des IStGH für die Finanzierung von Außenstellen sind keineswegs unbegrenzt, und häufig erfordert die Eröffnung oder Verstärkung eines Büros Einsparungen bei anderen Büros oder sogar deren Schließung. Der Preis für die Eröffnung der Büros in der Ukraine und im Sudan 2023 waren Personalkürzungen in Kinshasa (Demokratische Republik Kongo — DRK), der Elfenbeinküste und in Georgien sowie eine „Setzung von Prioritäten bei der Mittelverteilung“ in den Büros in Uganda und Bunia (DRK). Offenbar stehen den IStGH-Außenstellen im Jahre 2024 noch radikalere Einschnitte bevor. Das Büro in Georgien soll juristisch geschlossen werden (in diesem Land wird nur ein Vertreter der IStGH-Kanzlei verbleiben, geleitet vom Bürochef des IStGH in der Ukraine), außerdem wird die physische Präsenz des IStGH im Sudan und in Kinshasa (DRK) reduziert und somit auch die Finanzierung der dortigen Büros. Teils liegt das daran, dass mehr Mittel für das neue Büro in Kyjiv benötigt werden, teils auch am Stand des Verfahrens (Abschluss der Vorermittlung in Georgien durch das Büro des Chefanklägers) oder an der Sicherheitslage (zunehmende militärische Zusammenstöße im Sudan im Sommer 2023).

Wer leitet die Außenstellen des IStGH?

Anfangs sah der Stellenplan der Außenstellen keinen Vorgesetzten für alle Mitarbeiter vor. Das führte zu einer Parallel-Kommunikation der Mitarbeiter der Außenstellen mit dem Hauptsitz des Gerichts, außerdem mussten von dort Missionen in das jeweilige Land geschickt werden, um die dortigen Probleme zu lösen. Nach der Reform der IStGH-Kanzlei von 2016 wurde das Amt eines Büroleiters eingeführt, dem alle Mitarbeiter unterstellt sind.

Jedoch ist dies noch keine Garantie für erforderliche Effizienz der Außenstellen. Das kann an unterschiedlichen objektiven und subjektiven Umständen liegen, wie es etwa bei der Außenstelle in Georgien der Fall war. 2017 wurde der estnische Diplomat Kaupo Kand als Büroleiter eingesetzt. Er sprach weder Georgisch noch Ossetisch, was den Kontakt mit lokalen Akteuren erschwerte (mit Staatsorganen, mit Opfern, mit Vertretern der Zivilgesellschaft). Er verfügte nicht einmal über Arbeitserfahrung in der Struktur des IStGH, was wiederum für die Kommunikation mit dem Hauptsitz des IStGH hinderlich war. Zudem wurde die Arbeit des Büros in der ersten Zeit durch einen Mangel an Finanzmitteln und Personal erschwert. Erst mit der Zeit gelang es, diese Probleme dank der aktiven Unterstützung durch die Zivilgesellschaft zu überwinden.

Kaupo Kand wird nun die Leitung der IStGH-Außenstelle in der Ukraine übernehmen. 2023 wird er formal auch das Büro in Georgien leiten und damit zwei Außenstellen gleichzeitig (Georgien und Ukraine), was für die Praxis des IStGH keine Seltenheit ist. Wenn das Büro in Georgien 2024 geschlossen wird, wird Kand offiziell die Stelle in der Ukraine leiten und die verbliebenen Aufgaben des IStGH in Georgien koordinieren.

Wie ist der Personalbestand der IStGH-Außenstellen?

Die Besetzung der Außenstellen hängt vom Ausmaß der internationalen Verbrechen in einer bestimmten Situation ab, davon, wie weit das Gericht bei der Ermittlung vorangekommen ist, von Sicherheitsfaktoren usw. Ortskräfte in die Arbeit der Außenstellen hinzuzuziehen ist sehr erwünscht, obwohl man das Risiko ihrer möglichen Voreingenommenheit im Auge haben muss. Offiziell heißt es in der Ukraine und beim IStGH, dass das Büro in Kyjiv den höchsten Personalbestand aller Außenstellen des Gerichts haben wird. Allerdings sind diese Erklärungen nicht überzubewerten. Im Haushalt des IStGH für 2024 sind für dieses Büro nur sieben internationale Mitarbeiter, eine nationale Fachkraft und neun Ortskräfte vorgesehen.

Artikel teilen