Stimmen des Krieges: „Großvater wurde durch eine Granatexplosion hundert Meter weit weg geschleudert. “

Volodymyr Sajika ist Bewohner des Dorfes Moschtschun im Gebiet Kyjiv Er sagt, dass in Moschtschun lediglich 5 Prozent der Häuser unversehrt geblieben sind. Volodymyr selbst musste unter Beschuss einen Brand löschen, als feindliche Geschosse in sein Haus einschlugen.
Oleksandr Vasyliev06. Mai 2023UA DE EN ES FR IT RU

Володимир Заїка біля свого зруйнованого будинку в селі Мощун Київської області Volodymyr Sajika vor seinem zerstörten Haus in Movschtschun Volodymyr Zaika near his destroyed house in the village of Moshchun, Kyiv region Volodymyr davanti alle macerie della sua casa nel villaggio di Moščun, regione di Kyiv Владимир Заика возле своего разрушенного дома в селе Мощун Киевской области

Volodymyr Sajika vor seinem zerstörten Haus in Movschtschun

Ich heiße Volodymyr. Vor dem Krieg habe ich Verschiedenes gemacht, habe Klima-Anlagen eingebaut. Aber eigentlich bin ich Fahrer von Beruf. Jetzt bin ich wegen eines Infarkts im Ruhestand.

Hätten Sie gedacht, dass ein vollumfänglicher Angriff Russlands beginnen würde?

Aber nein, niemand dachte auch nur daran. Sogar als die Explosionen anfingen, glaubte niemand, dass es so kommen würde wie jetzt, dass Häuser zerstört würden. Niemand dachte, dass sie angreifen würden. Vorher hatte man gesagt, dass wir uns vorbereiten sollten, einen Notfallkoffer und Dokumente packen, damit man wegfahren kann. Aber wir haben die Dokumente nicht vorbereitet. Später sind sie dann verbrannt.

Wie war der erste Kriegstag für Sie?

Ein ganz normaler Werktag. Wir sind aufgewacht, es war noch keine Saison, deshalb gab es keine Arbeit, wir haben uns mit Hausarbeit besfasst. Ich habe mich um unsere Wachtelzucht gekümmert, die Hunde gefüttert und die Katzen, die üblichen Sachen.

Was passierte in den folgenden Kriegstagen?

Die nächsten Tage saßen wir im Keller. Sofort als der Beschuss losging, liefen wir in den Keller. Anfangs gab es noch Verbindung nach draußen, dann war der Strom weg. Und als der Strom weg war, war auch die Verbindung weg. Über uns flogen Drohnen, unbemannte Luftfahrzeuge.

Am Anfang war ich in der Territorialverteidigung, sie gaben uns ein Maschinengewehr für drei Leute, wir wussten nicht, ob es schießt oder nicht… Und vom 25. Februar an hörte man Explosionen in der Nähe, dann noch näher und am 6. März, als die Orks in unser Dorf kamen, war es sehr laut. Sie bombardierten uns heftig mit Geschossen und warfen Minen.

An diesem Tag brannte mein Haus ab und da ging ich weg aus dem Dorf, weil russische Truppen einzogen. Es war gruselig. Ich sah, wie Hubschrauber auf den Flughafen von Hostomel flogen. Es flogen zuerst fünf, dann zählte ich noch neunzehn. Unser Dorf ist sozusagen in einer Senke und sie flogen sehr niedrig über dem Wald, erfassten dabei die Baumkronen. Vielleicht weil wir in einer Senke sind und Hostomel höher liegt, erkannte das Flugabwehrsystem sie nicht gleich. Aber es heißt, dann hätten sie drei Hubschrauber abgeschossen. Ich konnte sogar ihre Truppenlandung sehen.

Wie haben Sie sich und Ihre Kinder gerettet?

Einen Tag davor hatte ich meine Frau und meinen Sohn nach Puschtscha-Vodyzia [Stadtviertel in Kyjiv] gebracht. Dort gibt es einen Luftschutzkeller. Ich selbst bin nach Hause zurückgekehrt und mit meinem Nachbarn Andrii dort geblieben. Als dann der erste Anflug kam und es in meinen Schuppen einschlug, sagte ich Andrii (er hat keine Frau): „Bring die Kinder zu deiner Schwiegermutter nach Kyjiv oder zu deiner Mutter, du siehst doch, was hier los ist!“ Bei mir im Garten war da gerade eine Mine explodiert, ein Splitter hatte mich leicht an der Stirn getroffen und meinen Nachbarn an der Hand. Erst danach brachte er seine Kinder weg und ich blieb allein zurück. Als das Haus brannte, löschte ich das Feuer, damit der Holzschuppen und der Keller nicht abbrennen, weil das direkt daneben ist. Ich habe Wasser aus der Wasserpumpe geholt und das Feuer ein wenig gelöscht. Die Entscheidung wegzugehen, traf ich, als das Haus schon abgebrannt war und auf dem Feld nebenan heftige Schusswechsel losgingen. Ich lief zu meiner Mutter und traf die Schwester meiner Frau. Sie sagte, wenn wir jetzt nicht fortgehen, dann werden wir später überhaupt nicht mehr rauskommen. Und danach beschlossen wir zu gehen. Wir konnten nicht über die asphaltierte Hauptstraße fahren, weil dort schon die Orks rumliefen und schossen, deshalb fuhren wir durch den Wald, von dort auf die Straße und dann bis Horenka. Dort gibt es im Krankenhaus einen Luftschutzkeller. Wir waren die letzten, die an diesem Tag wegfuhren.

Haben Sie gesehen, wie die russischen Soldaten Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung begangen haben?

Ich habe davon gehört, aber es selbst nicht gesehen. Aber ich habe gesehen, wie Granaten und Minen explodiert sind. Meinen Holzschuppen haben sie beschossen. Gepanzerte Fahrzeuge und Schützenpanzer mit ihrem V-Buchstaben fuhren ins Dorf und standen zweihundert Meter von unserem Haus. Sie fuhren vorbei, dachten, dass es dort weiterginge, gerieten aber in einen Sumpf. Sie steckten kurz fest, kamen aber wieder heraus. Meine Schwiegertochter hatte ein Kind zur Welt gebracht, das war noch keinen Monat alt, sie saßen im Keller. Abends heizten wir, damit das Kind es warm hatte, nachts gingen wir ins Haus, um uns aufzuwärmen. Ich ging abends zum Holz holen (Ich höre schlecht, wenn mein Blutdruck steigt), aber da flog eine Drohne derart niedrig, dass selbst ich sie hörte. Und am nächsten Tag flog sie in den Holzschuppen.

Dann am fünften März brannte das Haus vom Nachbarn, in dem die Serie „Svaty“ [„Kuppler“; Fernsehserie Volodymyr Selenskyj] gedreht wurde. Vier Häuser nebeneinander brannten ab, wurden gezielt von Grad-Raketen getroffen. Großvater blieb mit der Großmutter im Dorf, sie wollten sich nicht evakuieren lassen. Die Großmutter fanden sie nach dem Artilleriebeschuss im Keller und den Großvater hatte die Druckwelle an die hundert Meter weggeschleudert…

Was passierte mit Ihrem Eigentum?

Raketen kamen geflogen — das Haus fing Feuer. Und dann, als ich es löschte, mit dem Eimer Wasser holen lief, hörte ich — es kommt etwas geflogen, es pfeift. Ich rannte schnell zum Keller, und bevor ich die Tür schließen konnte, riss es sie mir direkt mit dem Rahmen aus der Hand. Eine Mine flog in die Garage. Die Garage ist zertrümmert, die Türen sind wie ein Sieb, damit kann man Nudeln abseihen.

Was haben Sie jetzt vor?

Bauen werden wir. Der Staat hat gesagt, dass er helfen wird, aber ich weiß nicht in welchem Umfang… Aber wir müssen irgendwie weiter leben. Die Leute helfen Gott sei Dank mit Essen, haben uns ein Solarpanel gegeben, bringen Taschenlampen, Batterien und Strom ins Dorf, sie haben versprochen, dass es Ende des Monats Strom geben wird, aber heil geblieben ist bei mir nur die Scheune… Wir werden uns etwas überlegen, werden aufbauen.

Hat sich Ihre Einstellung Russland und den Russen gegenüber verändert?

Natürlich hat die sich verändert. Auf den ersten Blick — das sind keine Menschen, die Kinder töten und Frauen vergewaltigen. Ursprünglich waren sie wahrscheinlich nicht so. Was hat ihnen die Regierung und der Fernseher nur in den Kopf gehämmert! Man hat sie zu solchen Zombies gemacht… Nicht wir sind doch zu ihnen gekommen, um zu töten und zu vergewaltigen…

Möchten Sie den Russen etwas mitteilen?

Was sollte man denen denn mitteilen? Das sind doch keine Menschen. Die werden das nicht verstehen. Als ob sie kommen würden, um uns zu retten… Wen denn retten und vor wem? Was soll man ihnen sagen, wenn das doch keine Menschen sind, sondern Vieh.

Wie haben sich die russischen Soldaten während der Okkupation von Moschtschun verhalten?

Zur Großmutter der Nachbarin kamen Russen. Etwa fünfzehn Mann. Das hat sie mir erzählt. Sie hörte, dass jemand durch das Haus läuft. Sie hat ein dreistöckiges Haus mit Keller. Als die Russen zu ihr kamen, steckte sie den Kopf aus dem Keller und die [Russen] erschraken. Sie fragten nach etwas zu essen. Sie sagte zu ihnen: „Nehmt die rohen Kartoffeln und esst die!“ Und: „Jungs, gebt auf, dann bleibt ihr heil!“ Ich weiß nicht, woher sie den Mut nahm, so etwas zu sagen. Sie hätten sie erschießen können. Solche Fälle gab es nicht nur einmal. Sie gingen weg, sie [die Großmutter] prägte sich ihre Gesichter ein und am nächsten Morgen waren sie alle erschossen. Auf dem Feld wurden Ende April oder Anfang Mai zwei Burjaten gefasst. Ich weiß nicht, ob die sich von selbst ergeben hatten oder aufgegriffen wurden. Wahrscheinlich hatten sie Angst gehabt, dass man sie erschießen würde, aber so sind sie wenigstens am Leben geblieben.

Wird das Gebiet um das Dorf von Minen geräumt?

Ja, fast jeden Tag wird hier etwas gefunden. Die Großmutter hat kürzlich beim Spazierengehen sogar ein Geschoss gefunden. Die Minen werden weggeräumt.

Was haben Sie empfunden, als Sie ins Dorf zurückkehrten, nachdem die ukrainischen Streitkräfte es befreit hatten?

Oh, ich weiß gar nicht, wie ich das ausdrücken soll… Als ich fuhr, wusste ich, dass mein Haus zerstört ist, aber meine Mutter hier unter der Besatzung zurückgeblieben war [weint], wir konnten einen Monat keinen Kontakt zu ihr aufnehmen, baten die Freiwilligen, aber sie wollte nicht weg und blieb hier. Gott sein Dank ist alles in Ordnung. Als wir zurückkamen, waren im Dorf nur wenige Häuser ganz geblieben, vielleicht 5 Prozent.

Haben Sie bei der Regierung Unterstützung für den Wiederaufbau beantragt?

Wir haben [dort] angerufen, sie sagen, warten Sie. Als wir im Gebiet Vinnyzja in der Evakuierung waren, bin ich dort zur Polizei gegangen. Ich hatte Fotos von meinem zerstörten Haus, wir schrieben Erklärungen, legten Beweise vor, sie gaben uns ein Protokoll und schickten unsere Dokumente nach Kyjiv. Aber die Prüfung wird wahrscheinlich erst stattfinden, wenn der Krieg zu Ende ist. Ich habe meine Dokumente auch in Vyschneve [Stadt im Gebiet Kyjiv] eingereicht. Ich habe Belege dafür, dass mein Haus von russischen Soldaten zerstört wurde.

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