Zeugenbericht über Folter in Gefangenschaft

Während der widerrechtlichen Inhaftierung wurde Anatolij Tutov grausam geschlagen und mit Elektroschocks gefoltert, mit Tod und Verstümmelung bedroht. Außerdem forderte man Geld von ihm.
Maryna Harieieva15. April 2023UA DE EN ES FR IT RU

Анатолій Тутов. Фото: “Дані-Інфо” Anatolij Tutov. Foto: „Dani-Info“ Anatoli Toutov. Photo : « Dani-Info » Анатолий Тутов. Фото: “Дані-Інфо”

Anatolij Tutov. Foto: „Dani-Info“

Anatolij Tutov, ein Einwohner der Region, berichtete Journalisten der in Balaklija erscheinenden Zeitung „Dani-Info“ über seine Gefangenschaft. Während der Okkupation war er ohne rechtliche Grundlage festgenommen worden.

Anatolij ist ein Privatunternehmer. Seinerzeit war er Abgeordneter der Partei „UKROP“ im Bezirksrat von Balaklija. Zuvor hatte er der Partei „Svoboda“ angehört.

Anatolij und seine Frau konnten ihre Angehörigen nicht zurücklassen, da sie medizinisch betreut werden müssen. Deshalb blieben sie in Balaklija. In den ersten Monaten der Besatzung ließ man ihn und seine Familie in Ruhe. Aber bereits im August wurde Anatolij abgeholt, wie er sagt, von so genannten Soldaten der „Quasirepubliken“ — der „Volksrepubliken Donezk und Luhansk“. Sie durchsuchten die Wohnung des Unternehmers, nahmen die vorgefundenen Ersparnisse mit und fragten ihn, ob er sich darüber klar wäre, warum man ihn verhaftete. „Offenbar, weil ich Abgeordneter von ‚UKROP‘ war“, antwortete Anatolij.

Er berichtete, dass er nach der illegalen Festnahme grausam geschlagen wurde. Am ersten Tag wurde er mit Fußtritten, Faustschlägen und Schlagstöcken traktiert. Als man den geschundenen Menschen in die Zelle brachte, versuchten die anderen Gefangenen, ihm Mut zu machen und sagten, am nächsten Tag werde man ihn wahrscheinlich in Frieden lassen und weder vernehmen noch schlagen. Aber sie verprügelten ihn auch am nächsten Tag. Sein ganzer Körper war ein einziger Bluterguss. Er vermutet, dass die so genannten Vernehmungen von Inguschen durchgeführt wurden: die Männer hatten kaukasische Gesichtszüge und einen entsprechenden Akzent.

Bei den beiden ersten Verhören wurde er gar nicht befragt, sondern einfach geschlagen und bedroht. Bei der dritten Vernehmung tauchte ein Soldat auf. Er sah auch wie ein Kaukasier aus, sprach aber akzentfrei Russisch. Er fragte Anatolij nach „Nazis“, nach ehemaligen Parteikameraden, nach seinem Leben. Dann zeigte er ihm ein Foto, auf dem Anatolij auf der Trauerfreier für jemanden zu sehen ist, der im Laufe der Revolution der Würde ermordet wurde, und beschuldigte Anatolij, an der Organisation des Majdan beteiligt gewesen zu sein. Nach den Worten von Anatolij hatte der ehemalige Polizist Oleg Kalajda das Foto gemacht, der später zum Feind übergelaufen ist.

Wenn Anatolij schwieg oder auf die gestellten Fragen nicht antwortete, wurde er geschlagen und bedroht: Sie schossen mit einem Jagdgewehr, hielten ihm ein Messer an die Kehle und versuchten ihn mit der Drohung einzuschüchtern, ihm lebendig die Haut abzuziehen.

Widerrechtlich Festgenommene werden sogar in der Zelle geschlagen. Anatolij berichtete, dass häufig ein Soldat in seine Zelle kam, der mit dem Kommentar, dies sei seine „Lieblingszelle“, alle Häftlinge mit Fußtritten malträtierte. Infolge der Schläge erlitt Anatolij einen Rippenbruch und zahlreiche innere Verletzungen.

Bei einem der Verhöre sah ein Soldat an seinem Hals ein Kreuz und fragte: „Bist du denn gläubig?“ Anatolij bejahte — er trage seit seiner Geburt ein Kreuz. Der Soldat verhöhnte ihn und sagte, er sollte zum Islam konvertieren. Als er das ablehnte, wurde er wiederum verprügelt. Er verlor das Bewusstsein und kam erst wieder zu sich, nachdem ihn seine Peiniger mit einem Eimer Wasser übergossen hatten.

Anatolij wurde unterschiedlichen moralischen und physischen Misshandlungen ausgesetzt. Er wurde gezwungen zu hüpfen und zu rufen: „Wer nicht hüpft, ist ein Moskal“ [abfällig für Russen], außerdem musste er laut die ukrainische Hymne singen und verschiedene patriotische Losungen rufen. Wenn er stürzte, wurde er mit zwei Kabeln an die Stromleitung angeschlossen und bedroht: „Wenn du die Kabel abnimmst, ist es aus mit dir“. Diese Tortur dauerte anderthalb Stunden.

Dann forderten die Besatzer Geld, das sie an „gute Menschen verteilen“ wollten, hielten ihm ein Messer an einzelne Körperteile und drohten, sie abzuschneiden. Irgendwann bat Anatolij seine Peiniger, die Misshandlungen zu beenden und ihn einfach umzubringen. Sein Körper glich einer einzigen Wunde, die geringste Berührung bewirkte daher unerträgliche Schmerzen. Außerdem wurden „Zellenspitzel“ in die Haftzellen gebracht, die die Gefangenen aushorchen sollten.

Die Häftlingszahlen waren Anatolij zufolge sehr hoch. Die Gefangenen kamen nicht nur aus Balaklija, sondern auch aus den Dörfern der Umgebung. Sie unterstützten sich gegenseitig, um die täglichen Qualen wenigstens etwas zu lindern.

Wir hatten schon berichtet, dass russische Soldaten und Vertreter der russischen Armee häufig die gleichen Verhörmethoden und Folterungen in verschiedenen zeitweilig besetzten Gebieten praktizieren. Das zeugt von einem gewissen System. Ehemalige Gefangene sprechen immer wieder von Folterungen mit Elektroschocks, von physischer und psychischer Gewalt und Scheinhinrichtungen.

Die Charkiver Menschenrechtsgruppe leistet in 600 Fällen Opfern von Verbrechen, die von russischer Seite begangen wurden, Rechtshilfe (Stand vom 10. April). In 58 Fällen geht es um Folter in der Haft, 130 betreffen die Suche nach vermissten Gefangenen, 185 — den Tod von Zivilisten und 227 — Verletzungen von Zivilpersonen. Manche Opfer erhalten psychologische und soziale Unterstützung. In 34 Fällen wurden Anzeigen bei UN-Menschenrechtsorganen erstattet.

Telefonnummern für die Kontaktaufnahme: Charkiv: +380505051415, +380504053015, Kyjiv: +380505552795.

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