Aussagen gegen sich selbst

Im Oktober 2025 publizierte das amerikanische Institute for the Studies of War eine alarmierende Zahl: Seit 2023 waren allein in Cherson durch russische Drohnenattacken über 2.800 Zivilisten ums Leben gekommen.
Während systematische Angriffe auf Zivilisten schon längst niemanden mehr schockieren und sie zum Alltag der Besatzer gehören, sticht das Gebiet Cherson besonders hervor, da sich hier die Russen vielfach selbst mit ihren Kriegsverbrechen brüsten und stolz darauf sind.
Der Journalist und Menschenrechtler Serhij Okunjev hat russische Propaganda-Materialien und sogar offizielle Kanäle der Militärabteilungen der Besatzer analysiert, um sich zu vergewissern, dass die Russen nicht einmal versuchen, ihre eigenen Verbrechen zu verbergen.
„Safari“ oder Übungsgelände. Wie die Russen sich des täglichen Tötens von Einwohnern Chersons rühmen

Ständige russische Drohnenattacken auf die Einwohner des rechtsufrigen Gebiets Cherson gehörten schon 2023 zum Alltag, allerdings haben sie 2025 ein geradezu erschreckendes Ausmaß angenommen. Die Gesamtentwicklung der Drohnen und die Zunahme ihrer Produktion und Anwendung hatten zur Folge, dass die Russen im Oktober 2025 mehr Drohnen in einer Woche auf das Gebiet Cherson abfeuerten als in einem ganzen Monat im Herbst 2024. Die letzten Angaben der regionalen Militäradministration sprechen von über 2.500 Drohnen in einer Woche, meist FPV-Drohnen und Drohnen mit einem Abwurfsystem.
Schockierend ist, dass russische Propagandisten und selbst offizielle Quellen bei den Kriegsverbrechen in Cherson gar nicht den Versuch machen, diese zu verbergen. In Telegram-Kanälen werden regelmäßig Videoaufzeichnungen von Angriffen auf die Zivilbevölkerung verbreitet. Allein in einem einzigen derartigen Propaganda-Kanal finden sich buchstäblich Hunderte von Videos mit Angriffen auf Zivilfahrzeuge. Es ist bezeichnend, dass die Russen nicht versuchen, hinsichtlich der „militärischen Zwecke“ zu lügen und die Angriffe auf Zivilisten zu verschleiern.
„Nichts Persönliches, es ist einfach ein übliches Fahrzeug in der Zone. Nochmal. Ein beliebiges Fahrzeug in der Zone ist ein legitimes Ziel“ — dies verkünden die Besatzer in ihren eigenen Quellen.
Als „Zone“ bezeichnen die Russen das große Territorium der Stadt Cherson, einschließlich des historischen Stadtzentrums. In ihren Meldungen verhehlen die Besatzer nicht, dass sie „jegliches Fahrzeug“ vernichten werden und bezeichnen dies als „legitimes Ziel“. Solche Handlungen stellen allen Kriterien zufolge eindeutig ein Kriegsverbrechen dar, und keinerlei „Gesetze“, nicht einmal das russische Pseudo-Recht, lassen derartige Angriffe zu.
Wenn kein Fahrzeug da ist, ist das allerdings auch keine Garantie für Sicherheit. Auf russischen Kanälen gibt es zahlreiche Aufnahmen mit Angriffen auf gewöhnliche Einwohner, Fahrradfahrer oder Passanten. Am 26. August wurde ein Video veröffentlicht, das zeigt, wie ein Mann, der einen Hund ausführt, mit Sprengstoff attackiert wird. Die Russen unternahmen hier wiederum keinerlei Versuch, ihn etwa als einen Militärangehörigen auszugeben.
Es gibt mit niemandem Mitleid. Behaltet Eure Tränen für Euch, schreibt eine Quelle der Besatzer.
Generell veröffentlichen die Russen neben Aufnahmen von unmittelbaren Angriffen ständig Erklärungen zu ihren Handlungen. Ihre Kernthese ist, dass es während der russischen Besatzung keine derartigen Aktionen gegeben habe und dass diese sofort beendet würden, sobald das rechtsufrige Gebiet Cherson erneut von russischen Truppen besetzt würde. Das russische Vorgehen zielt also unmittelbar auf Terror, d. h. auf gezielte Aktionen gegen die Zivilbevölkerung, um sie abzuschrecken und jeglichen Widerstand von vornherein zu ersticken.
Krieg gegen den Katastrophenschutz. Wie ukrainische Rettungskräfte zum vorrangigen Ziel der Okkupanten wurden

2024 und 2025 wurde die Arbeit des Katastrophenschutzes an Orten feindlicher Angriffe immer gefährlicher. Die Russen führen gezielt wiederholte Angriffsschläge aus, nachdem Rettungskräfte an den betroffenen Orten eingetroffen sind. Diese Praxis ist in den Gebieten Donezk und Charkiv verbreitet, im Gebiet Cherson hat sie sich jedoch zu einem regelrechten Krieg gegen ukrainische Rettungskräfte ausgeweitet.
Am 28. September haben die russischen Besatzer eine Erklärung veröffentlicht:
„In nächster Zeit, wenn nicht BEREITS JETZT, wird die Entscheidung getroffen, Rettungskräfte als vorrangiges Ziel zu verzeichnen. Ihre Einsatzorte, Standorte und Wartungszentren werden vernichtet. Ihr Personal gilt als potentielle Bedrohung.“
Diese so genannte „Warnung“ ist nicht der Anfang des Terrors gegen den Katastrophenschutz, sondern die Fortsetzung einer Praxis, die System hat. Die Russen veröffentlichen Dutzende von Videos mit Angriffen auf Angestellte, die Brände an Zivilgebäuden löschen, und greifen die Rettungsfahrzeuge an, nicht ohne sich ihrer „Erfolge“ dabei zu rühmen. Es gibt darüber etliche Informationen in den Medien und beim Katastrophenschutz selbst.
Zuvor war gemeldet worden, dass seit Beginn der Voll-Invasion im Gebiet Cherson durch russische Angriffe neun Angestellte des Katastrophenschutzes im Dienst ums Leben gekommen sind, 49 Sanitäter wurden verletzt. Diese Angaben galten für 2024, jetzt dürfte sich die Zahl erhöht haben.
Allein 2025 berichtete eine der Haupt-Propagandaquellen der Besatzer 15 mal von Angriffen auf den Katastrophenschutz, die ausgeführt oder zumindest vorbereitet wurden.
„Die Zahl ferngesteuerter Minen muss erhöht werden, mit darauffolgenden Angriffen auf Einsatzteams, die die Folgen der Schäden beseitigen wollen, ebenso ist der Katastrophenschutz vermehrt anzugreifen. Früher standen die kommunalen Dienste in einer ‚leichten‘ Liste, da sie oft für die Wiederherstellung ziviler Objekte eingesetzt wurden, aber jetzt sind sie wie auch der Katastrophenschutz ein vorrangiges Ziel und müssen vernichtet werden.“
Ein ausgesprochenes Kriegsverbrechen. Das humanitäre Völkerrecht zu Angriffen auf Rettungskräfte
Obwohl die Besatzer den Begriff eines „gesetzlichen Ziels“ für Angestellte des Katastrophenschutzes verwenden, bestätigt das humanitäre Völkerrecht, dass es sich hier um russische Kriegsverbrechen handelt. Zivilschutzorgane und humanitäre Organisationen, die der Zivilbevölkerung Hilfe leisten und nicht an Kampfhandlungen teilnehmen, dürfen kein Angriffsziel sein. Das Zusatzprotokoll 1 zur Genfer Konvention von 1977 ist eines der wesentlichen Dokumente des humanitären Völkerrechts, das die Regeln und Methoden der Kriegsführung festlegt und bestimmt, welche Organisationen als Organe des Zivilschutzes zu betrachten sind.
Artikel 61: „Zivilschutz“ bedeutet die Erfüllung aller oder einzelner der nachstehend genannten humanitären Aufgaben zum Schutz der Zivilbevölkerung vor den Gefahren und zur Überwindung der unmittelbaren Auswirkungen von Feindseligkeiten oder Katastrophen sowie zur Schaffung der für ihr Überleben notwendigen Voraussetzungen.
Diese Aufgaben enthalten 15 Kriterien, insbesondere die Verhinderung und Löschung von Bränden, Rettungsoperationen, medizinische und sanitäre Maßnahmen, Evakuierung und weitere humanitäre Aufgaben.
Artikel 62: Allgemeiner Schutz
1. Die zivilen Zivilschutzorganisationen und ihr Personal werden nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Protokolls und insbesondere dieses Abschnitts geschont und geschützt. Außer im Fall zwingender militärischer Notwendigkeit sind sie berechtigt, ihre Zivilschutzaufgaben wahrzunehmen.
2. Absatz 1 findet auch auf Zivilpersonen Anwendung, die den zivilen Zivilschutzorganisationen nicht angehören, aber einem Aufruf der zuständigen Behörden Folge leisten und unter deren Leitung Zivilschutzaufgaben wahrnehmen.[1]
3. Artikel 52 dieses Protokolls bezieht sich auf Gebäude und materielle Mittel, die zur Zivilverteidigung genutzt werden, sowie auf Schutzräume für die Zivilbevölkerung. Objekte, die der Zivilverteidigung dienen, dürfen nicht zerstört und nicht zweckentfremdet werden, es sei denn von der Partei, der sie gehören. Im Römischen Statut des Internationalen Strafrechts, das bestimmt, welche Handlungen als Kriegsverbrechen gelten, wird festgehalten, dass vorsätzliche Angriffe auf Zivilobjekte, d. h. Objekte, die keine militärischen Ziele sind, nach Artikel 8 (2) (b) (iii) als Kriegsverbrechen zu betrachten sind.
2011 wurde beim Hochkommissar für Menschenrechte (OHCHR) eine internationale UN-Kommission geschaffen. Sie sollte Verstöße gegen das internationale Völkerrecht und das internationale Recht der Menschenrechte in der Syrischen Arabischen Republik untersuchen.
Diese Kommission führte Ermittlungen durch und stellte fest, dass systematische Angriffe auf Feuerwehrleute und „Weißhelme” in Aleppo gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen und ein Kriegsverbrechen darstellen. Das wurde in Berichten von 2016 und 2018 festgehalten. An Angriffen auf diese humanitären Organisationen in Syrien war die russische strategische Luftwaffe Russlands maßgeblich beteiligt. Dieselben Kräfte greifen seit 2022 Zivilobjekte und die Energie-Infrastruktur der Ukraine an.
[1] https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1982/1362_1362_1362/de