Die Verantwortung für alle Handlungen auf den besetzten Gebieten der Ukraine trägt Russland

Die Initiative „Tribunal für Putin“ ruft dazu auf, Russland daran zu hindern, „rechtliche Offshores“ auf den besetzten Gebieten zu legalisieren, um der Verantwortung zu entgehen.
23. Oktober 2022UA DE EN ES FR IT RU

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2014 hat die Russische Föderation nach einer bewaffneten Aggression einen Teil der Ukraine besetzt: die autonome Republik Krim, die Stadt Sevastopol sowie Teile der Gebiete Luhansk und Donezk. Die Krim-Halbinsel wurde vollständig von Russland annektiert, und auf den besetzten Teilen der Gebiete Donezk und Luhansk wurde eine Militäradministration unter der Bezeichnung „Volksrepublik Luhansk“ und „Volksrepublik Donezk“ installiert.

Die besetzten Teile der Gebiete Donezk und Luhansk wurden formell zu Republiken erklärt. Angeblich haben sie eine Verfassung und verschiedene Machtorgane. De facto wird die Verwaltung jedoch allein von „Führungskräften“ der „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk ausgeübt, die von Russland ernannt werden. Die meisten Gesetze sind Kopien russischer Gesetze.

Von Seiten der Russischen Föderation wurden und werden diese Territorien durch „Kuratoren“ verwaltet, die direkte Anweisungen gaben, wie Führungsstellen in den Machtorganen zu besetzen und welche notwendigen Entscheidungen zu treffen waren. Die so genannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk sind im Grunde Militäradministrationen der besetzten Regionen, die vollständig und unmittelbar von der Russischen Föderation kontrolliert werden. Diese ernennt de facto den „Leiter“ der Administration, stellt alle Finanzmittel zur Verfügung, trifft die wesentlichen Entscheidungen, die von der Administration umgesetzt werden, stellt die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen sicher und übt die vollständige Kontrolle über das Territorium sowie sämtliche dort befindlichen Truppen aus.

Die Organe, die in den russischen Besatzungsadministrationen der „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk als „Gerichte“ bezeichnet werden, wurden auf der Basis anderer „Militärgerichte“ gebildet, die seit 2014 entstanden waren. Sie erfüllen keine der völkerrechtlichen Anforderungen an ein Gericht, da ihre Unabhängigkeit nicht gewährleistet ist und sie den Angeklagten nicht einmal formal irgendwelche Rechte zugestehen. Längere Zeit arbeiteten sie sogar ohne Strafprozessordnung. Größtenteils gleichen ihre Ernennungs- und Entlassungsverfahren sowie all ihre Prozesse denen der „Trojkas“, die es seinerzeit in der UdSSR gab. Somit ist schon die Anwendung des Begriffs „Gericht“ nicht korrekt, da dieses Organ nichts mit der üblichen Bedeutung dieser Institution gemein hat. Entscheidungen dieser Organe sind daher als außergerichtliche Strafen zu betrachten, und die etwaige Anwendung der Todesstrafe als „außergerichtliche Hinrichtung“.

Seit Beginn der eskalierten Aggression durch die Russische Föderation im Februar 2022 haben die so genannten Machtorgane der „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk (LVR, DVR) noch ihre letzte, ohnehin minimale operative Unabhängigkeit verloren. Sie unterstehen nunmehr unmittelbar dem FSB, den russischen Streitkräften und anderen entsprechenden russischen Behörden. Die russischen Truppen sind offen in die Gebiete Luhansk und Donezk einmarschiert, und lokale bewaffnete Einheiten erhielten den Befehl, sich ihnen vollständig unterzuordnen und all ihre Befehle auszuführen.

Nach internationalem Recht übt ein Land, das ein Gebiet besetzt hat, also hier die Russische Föderation, die volle faktische Kontrolle über alles aus, was auf diesem Gebiet geschieht und trägt dafür die Verantwortung.

Die Russische Föderation nutzt die Begriffe „LVR“ und „DVR“, um der Verantwortung für internationale Verbrechen auf diesem Territorium nach Möglichkeit zu entgehen. Die formelle Aufrechterhaltung ihres künstlichen unabhängigen Status erlaubt es Russland, auf diesen Gebieten weder internationales Recht noch die Gesetze der Ukraine anzuwenden, ja nicht einmal die der Russischen Föderation. So werden nach Auskunft der ukrainischen Machtorgane, der Medien sowie ukrainischer und internationaler Organisationen auf diesen Territorien folgende internationale Verbrechen begangen:

  1. Zahlreiche willkürliche Festnahmen und Verhaftungen;
  2. Zahlreiche außergerichtliche Hinrichtungen;
  3. Häufiges Verschwindenlassen von Zivilisten, woran Vertreter der Militäradministrationen beteiligt sind;
  4. Die Russische Föderation hat moderne Formen von Konzentrationslagern in den Gebieten Donezk und Luhansk eingerichtet (und ebenfalls in anderen besetzen Gebieten der Ukraine und in Russland), um Bürger der Ukraine ohne Anklage und ohne Rechtsgrundlage über einen langen Zeitraum gefangen zu halten. Das gilt für
  5. Kriegsgefangene (was es ermöglicht, diese Personen nicht als Kriegsgefangene in der Russischen Föderation anzuerkennen und sie somit auch nicht der Ukraine zu übergeben);
  6. Zivilpersonen als Geiseln, die keine ukrainischen Kombattanten und somit auch keine Kriegsgefangenen sind, die aber von russischen Streitkräften gefangengenommen wurden und die ohne Anklage oder Rechtsgrundlage über einen längeren Zeitraum festgehalten werden;
  7. Zivilisten, die vor der bewaffneten Aggression fliehen wollten und in die so genannten „Filtrationslager“ gerieten, wo sie ohne Anklage und Rechtsgrundlage längere Zeit festgehalten wurden.
  8. In den modernen Konzentrationslagern, die die Russische Föderation auf dem besetzten Territorium der Gebiete Luhansk und Donezk eingerichtet hat, werden in großem Umfang Verbrechen begangen, vor allem folgende:
  9. Die Menschen werden unter unmenschlichen Bedingungen untergebracht, oft ohne Wasser, Nahrung und medizinische Versorgung, in überfüllten Räumlichkeiten, was als Folter und grausame Behandlung anzusehen ist;
  10. Systematische Schläge und Misshandlungen, Vergewaltigungen;
  11. Willkürliche Erschießungen.
  12. Deportation von Ukrainern in die Russische Föderation;
  13. Zwangsmobilisierung der männlichen Bevölkerung ab dem Alter von 18 Jahren.
  14. Andere Verbrechen.

Zu einer wesentlichen Reduzierung solcher Verbrechen könnte beitragen, wenn die Regierungen der Ukraine und anderer Länder sowie nationale und internationale Medien durch ihre verstärkte Aufmerksamkeit der Russischen Föderation zu verstehen gäben, dass gerade sie im vollen Maße für alle ungesetzlichen Handlungen verantwortlich ist, die dort begangen werden. Es gibt keine separaten „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk oder separate Machtorgane dieser „Republiken“, auch keine Gerichte. Denn in diesen Gebieten gilt internationales Recht sowie ukrainisches oder russisches Recht.

Aufgrund dieser Fakten vertreten wir folgende Auffassung:

  1. Für alle Handlungen, die auf besetztem ukrainischem Gebiet erfolgen, ist allein die Russische Föderation verantwortlich.
  2. Wir empfehlen, die Bezeichnungen „Volksrepublik Luhansk“ und „Volksrepublik Donezk“ nicht unkommentiert zu verwenden, da sie der Sachlage in der Verwaltung dieser Gebiete nicht entsprechen. Diese Territorien kann man als „von der Russischen Föderation besetzte Territorien der Gebiete Luhansk und Donezk“ oder als „russische militärische Besatzungsadministration der so genannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk“ bezeichnen, und die lokalen Behörden als Besatzungsbehörden oder Besatzungsadministration der Russischen Föderation.
  3. Gerichtsverfahren, die in den russisch besetzten Gebieten geplant sind, namentlich in Mariupol, sind nicht legitim, denn die Existenz dieser Gerichte und ihre Tätigkeit sind völkerrechtswidrig und stehen im Widerspruch zu ukrainischen sowie sogar zu russischen Gesetzen.
  4. Urteile, die von diesen Gerichten gefällt werden, insbesondere im Hinblick auf eine denkbare Todesstrafe für die Angeklagten, müssen nach dem Völkerrecht sowie ukrainischer und russischer Gesetzgebung als außergerichtliche Urteile und Hinrichtungen betrachtet werden. Dementsprechend ist auch ihre Vollstreckung ein internationales Kriegsverbrechen, für die die Vertreter der Russischen Föderation und die Besatzungsadministrationen die Verantwortung tragen.
  5. Alle Urteile eines so genannten Gerichts der Volksrepublik Donezk sind „außergerichtliche Urteile“, weil sie dem Völkerrecht ebenso wie ukrainischem und russischem Recht widersprechen.
  6. Da die Todesstrafe in der Ukraine verboten ist und in Russland ein Moratorium besteht, ist die Vollstreckung eines solchen Urteils auf besetztem Gebiet eine außergerichtliche Hinrichtung und als internationales Verbrechen anzusehen, begangen von Vertretern der Russischen Föderation.
  7. Die Russische Föderation muss alle Personen, die in den besetzten Gebieten Luhansk und Donezk inhaftiert sind, als Kriegsgefangene im Sinne des humanitären Völkerrechts anerkennen. Alle Personen, die keinen Kombattantenstatus haben, sind umgehend gemäß den Forderungen des humanitären Völkerrechts freizulassen.
  8. Die Russische Föderation muss umgehend Korridore öffnen, damit Zivilpersonen die besetzten Gebiete in Richtung Ukraine verlassen können, wie es den Forderungen der Genfer Konvention vom 12. August 1949 zum Schutz der Zivilbevölkerung zu Kriegszeiten entspricht.
  9. Internationale Organisationen, insbesondere die UNO und die OSZE, müssen von der Russischen Föderation die Einhaltung der Bestimmungen des Völkerrechts in allen besetzten Gebieten verlangen, darunter den Gebieten Luhansk und Donezk, und eine von der Russischen Föderation unabhängige Untersuchung der internationalen Verbrechen sicherstellen, die ständig auf den besetzten Gebieten begangen werden.

Unterzeichnende Organisationen:

  • Zentrum für bürgerliche Freiheiten
  • Ukrainische Helsinki-Gruppe für Menschenrechte
  • Menschenrechtsgruppe Charkiv
  • ISAR Ednannia
  • NGO Docudays
  • Assoziation für Projektmanager der Ukraine
  •  Stiftung für Barmherzigkeit und Gesundheit

Zur Unterzeichnung füllen Sie bitte das Formular aus, das Sie hier finden.

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