Ein Jahr russisch-ukrainischer Krieg: Gebiet Charkiv
Die Charkiver Menschenrechtsgruppe dokumentiert internationale Verbrechen (Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen), die russische Okkupanten mutmaßlich im Gebiet Charkiv begangen haben. Hier folgt eine Übersicht über die Entwicklung im Gebiet Charkiv in diesem Jahr, die die Charkiver Menschenrechtsgruppe in der Datenbank der Initiative „T4P“ erfasst hat. Eine vollständige Version dieser Publikation finden Sie auf der Seite khpg.org.
Überblick über die dokumentierten Vorfälle
In einem Jahr des flächendeckenden russisch-ukrainischen Krieges hat die Charkiver Menschenrechtsgruppe 9.252 Vorfälle im Gebiet Charkiv dokumentiert. Fast zwei Drittel davon — 6.048 — hingen mit Beschuss oder Bombardierungen zusammen.
Geographisch gesehen wurden die meisten Fälle, nämlich 2.669, in der Stadt Charkiv dokumentiert, weitere in folgenden Bezirken:
- Charkiv — 2.335,
- Isjum — 2.236,
- Kupjansk — 802,
- Tschuhujiv — 733,
- Bogoduchkiv — 388,
- Losova — 51,
- Krasnograd — 14.
Chronologisch wurden im Zeitraum vom 24. Februar bis zum 31. März 2022 mit 2.449 die meisten Fälle verzeichnet, mehr als ein Viertel aller Fälle in diesem Gebiet.
Vom 1. April bis zum Ende des Frühlings 2022 wurden 1.544 und im Sommer 2022 weitere 1.338 Fälle dokumentiert. Im Herbst 2022 wurde 638 neue Vorfälle im Gebiet Charkiv in die Datenbank von T4P aufgenommen. Vom 1. Dezember 2022 bis zum 23. Februar 2023 wurden 267 Fälle verzeichnet.
Bei den Recherchen legt die Charkiver Menschenrechtsgruppe den Schwerpunkt auf persönliche Kontakte mit unmittelbaren Opfern oder Zeugen internationaler Verbrechen. Dies ermöglicht eine effiziente Dokumentation von Informationen, die in künftigen Gerichtsverfahren genutzt werden können.
Im Gebiet Charkiv hat die Menschenrechtsgruppe die Personalangaben von 3.550 Zeugen und Opfern internationaler Verbrechen festgehalten, die vermutlich von russischen Besatzern begangenen wurden, außerdem die von zehn mutmaßlich dafür verantwortlichen Personen. Insgesamt wurden Angaben von 2.702 Geschädigten, 457 Zeugen und 391 Getöteten gesammelt.
Vorausgesetzt, dass die von der Charkiver Menschenrechtsgruppe kontaktierten Personen zustimmen, können ihre Geschichten in Interviews aufgezeichnet und in Textform auf der Website der Organisation unter der Rubrik „Stimmen des Krieges“ und/oder als Video auf ihrem Youtube-Kanal veröffentlicht werden.
Opfer unter der Zivilbevölkerung
Im Laufe eines Jahres des flächendeckenden russisch-ukrainischen Krieges hat die Charkiver Menschenrechtsgruppe im Gebiet Charkiv 3.573 Vorfälle dokumentiert, die zu Verlusten unter der Zivilbevölkerung oder Verletzungen der Rechte von Zivilpersonen geführt haben. In diesem Zusammenhang wurden Informationen über 6.395 Personen bearbeitet, die Opfer internationaler Verbrechen wurden, die russische Besatzer mutmaßlich begangen haben. Nach vorliegenden Erkenntnissen sind darunter mindestens 295 Kinder.[i]
Insgesamt wurden 847 Fälle dokumentiert, die den Tod von Zivilisten zur Folge hatten (1.609 Getötete, darunter 93 Kinder), 754 Fälle, die zu Verletzungen oder anderen gesundheitlichen Schäden führten (1.840 Opfer, davon 88 Kinder) und 162 Fälle des Verschwindens (1.967 vermisste Personen, davon 86 Kinder).
Die vollständige Version dieses Artikels bringt Angaben über Vergewaltigungen und andere Menschenrechtsverletzungen, sowie über Kinder, die unter den Opfern sind.
Objekte der zivilen Infrastruktur, die durch Kampfhandlungen beschädigt wurden
Im Berichtszeitraum hat die Charkiver Menschenrechtsgruppe die Zerstörung oder Schädigung von 7.588 Objekten der zivilen Infrastruktur durch Kampfhandlungen im Gebiet Charkiv verzeichnet. Die meisten dieser Objekte (4.759) waren Wohnhäuser. Betroffen waren außerdem über zwölf Kategorien und Unter-Kategorien ziviler Objekte, insbesondere in den Bereichen Bildung (315), Gesundheit (71), Handel und Produktion (901), Verkehrsinfrastruktur (237), kritische Infrastruktur (123) und andere.
Charakterisierung der im Berichtszeitraum dokumentierten Vorfälle
Das Team der Charkiver Menschenrechtsgruppe hat in dem Jahr des flächendeckenden russisch-ukrainischen Krieges 9.252 Vorfälle in Gebiet Charkiv dokumentiert. 6.048 davon hängen mit Beschuss oder Bombardierungen sowie eine hohe Anzahl — 1.642 — mit dem Verschwinden von Personen zusammen.
Außerdem wurden im Berichtszeitraum in dem Gebiet 234 Fälle verzeichnet, in denen Zivilisten als „menschliche Schutzschilde“ eingesetzt wurden, 221 Fälle von Folterungen und unmenschlicher Behandlung, 207 Fälle brutaler Freiheitsberaubung und andere. Bei der Zusammenstellung der Informationen nimmt die Charkiver Menschenrechtsgruppe eine vorläufige Einschätzung der Vorfälle nach den Bestimmungen des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGh) vor. Die vollständige Version dieser Zusammenfassung enthält dazu Zahlenangaben.
Schlussfolgerungen
Eine Analyse der dokumentieren Informationen zeigt, dass es im Laufe eines Jahres des großangelegten russisch-ukrainischen Krieges zu vielen Ereignissen gekommen ist, die vorläufig als internationale Verbrechen zu qualifizieren sind, mutmaßlich begangen von russischen Besatzern, und zwar insbesondere als Kriegsverbrechen nach Artikel 8 (2) (a) und (b), als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Artikel 7 (1) und als Genozid nach Artikel 6 des Römischen Statuts des IStGh.
Die Charkiver Menschenrechtsgruppe wird weiterhin Recherchen durchführen und Dokumentationen erstellen, um für die internationale Strafverfolgung und internationale Gerichtsinstanzen entsprechende Rechtspositionen zu entwickeln, zu begründen und vorzustellen.
Die Charkiver Menschenrechtsgruppe dankt den Sponsoren, insbesondere der Europäischen Union, People in Need, Prague Civil Society Centre, OpenArchive, der US-Botschaft, USAID, DIGNITY, Danish Institute Against Torture, Panorama Global und individuellen Sponsoren, ohne die die gesamte Arbeit der Organisation gar nicht oder nur in sehr viel bescheidenerem Ausmaß möglich wäre.
[i] Die Angaben über die Zahl der betroffenen Kinder werden noch überprüft.