Information über Schäden durch Minen und andere Sprengsätze
Die Charkiver Menschenrechtsgruppe dokumentiert internationale Verbrechen (Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen), die russische Okkupanten in der Ukraine und insbesondere in der Stadt und im Gebiet Charkiv mutmaßlich begangen haben.
Nachfolgend werden die vorliegenden Informationen über Schäden untersucht, die durch Minen und andere Sprengstoffe verursacht wurden, sowie wahrscheinliche Tatbestände einer Fernverlegung von Minen im Gebiet Charkiv im Zeitraum vom 24. Februar 2022 bis zum 20. Januar 2023.
Allgemeine Informationen zu den dokumentierten Vorfällen
Insgesamt hat die Charkiver Menschenrechtsgruppe in diesem Zeitraum mindestens 126 Vorfälle verzeichnet, in denen Schäden durch Sprengsätze und möglicherweise fernverlegte Minen entstanden sind.
In mindestens 82 Fällen wurden hierbei Personen getötet oder verletzt. In 12 Fällen wurden Autos oder andere Verkehrsmittel beschädigt.
Geographisch ergibt sich folgendes Bild: Mit insgesamt 38 entfielen die meisten Vorfälle auf den Bezirk Charkiv des gleichnamigen Gebiets. Eine erhebliche Anzahl betraf die Bezirke Isjum (32) und Tschuhujiv (39). Im Bezirk Kupjansk hat die Charkiver Menschenrechtsgruppe 14 Vorfälle dokumentiert, in den Bezirken Bohoduchiv und Charkiv je 11 und einen.
Mindestens zehn der dokumentierten Fälle betrafen den mutmaßlichen Einsatz fernverlegbarer Minen auf dem Territorium durch die Besatzer. Auf Grund ihrer Recherchen kann die Charkiver Menschenrechtsgruppe belegen, dass verschiedene Teile des Gebiets innerhalb sowie in der Nähe von Ortschaften aus der Ferne vermint wurden.
Das Protokoll über das Verbot oder die Begrenzung der Anwendung von Minen, Sprengfallen und anderen Sprengsätzen in der ergänzten Fassung vom 3. Mai 1996, im Anhang zur Konvention über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können, verbietet die unterschiedslose Anwendung von Minen, Sprengfallen und andern Sprengsätzen.
Darüber hinaus verbietet Artikel 6 des Protokolls fernverlegbare Minen, wenn sie nicht ordnungsgemäß registriert oder nicht den Bestimmungen über eine Selbstzerstörung oder Selbstdeaktivierung entsprechen.
Information über Todesopfer in der Zivilbevölkerung
Im untersuchten Zeitraum hat die Charkiver Menschenrechtsgruppe mindestens 82 Fälle festgestellt, in denen das Leben oder die Gesundheit von Zivilpersonen mutmaßlich durch die Explosion von Minen oder anderen Sprengsätzen Schaden genommen haben.
In 58 Fällen im Gebiet Charkiv wurden Zivilisten verletzt, nach vorliegenden Informationen mindestens 74 Personen.
Mindestens 24 der dokumentierten Fälle haben zum Tod von Zivilisten geführt, vermutlich durch eine Explosion von Minen oder anderen Sprengsätzen. Mindestens 34 Todesfälle wurden verzeichnet.
Die Charkiver Menschenrechtsgruppe bemüht sich weiterhin, die Daten von Zeugen und Opfern internationaler Verbrechen festzustellen, die mutmaßlich von russischen Besatzern in der Ukraine begangen wurden. Diese Angaben können bei zukünftigen Gerichtsverfahren genutzt werden.
Im untersuchten Zeitraum wurden Daten von mindestens 19 Personen erhoben, darunter von vier Zeugen und sieben Geschädigten. Diese Angaben werden laufend ergänzt und präzisiert.
Umstände der dokumentierten Fälle
Viele der dokumentierten Vorfälle enthalten detaillierte Angaben über die Umstände, unter denen sie sich konkret abgespielt haben. Eine Analyse zeigt folgende Besonderheiten:
Zu den meisten Vorfällen kam es auf der Straße in öffentlichen Verkehrsmitteln. Letztere detonierten, wenn sie auf eine Mine oder einen anderen Sprengsatz fuhren. Der Fahrer oder die Passagiere kamen hierdurch ums Leben oder wurden verletzt.
Wie die Charkiver Staatsanwaltschaft mitteilt, wurden am 29. März im Bezirk Tschuhujiv zwei Männer getötet und fünf weitere Personen verletzt, darunter ein Kind von sechs Monaten, nachdem ein Auto auf eine Mine gefahren war. Zu ähnlichen Unfällen kommt es leider auch bei medizinischen Sondertransporten. Am 2. Oktober fuhr ein Notarztwagen in Balaklija im Gebiet Charkiv auf eine Mine. Der Fahrer war einer Quelle zufolge auf der Stelle tot, ein jüngerer Feldscher erlitt eine Prellung und Verbrennungen, das Fahrzeug brannte aus.
Oft treten Personen auch aus Nachlässigkeit auf eine feindliche Mine. Nach Auskunft der Polizei im Gebiet Charkiv erlitt ein Einwohner des Dorfs Kotschubejivka eine Verletzung am Bein. Der Mann war im eigenen Hof auf einen minenähnlichen Gegenstand getreten.
Die Charkiver Menschenrechtsgruppe hat eine bestimmte Anzahl von Detonationen verzeichnet, die durch den Kontakt von Personen mit einer Sprengfalle ausgelöst wurden. Nach einem Bericht von “Suspilne” wurde am 30. September ein 39-jähriger Einwohner des Bezirks Charkiv verletzt, der an eine “Sprengfalle” der Besatzer geraten war. Die Polizei des Gebiets teilte außerdem mit, dass am 27. November ein 62-jähriger Einwohner des Gebiets verletzt wurde, als er eine “Sprengfalle” in einem Waldgebiet bei Mykolajiv beseitigen wollte.
Häufig kommt es auch bei landwirtschaftlichen Arbeiten zu Minenexplosionen. So teilte “Suspilne” mit, dass am 30. Juli in der Nähe des Dorfs Vilchivka bei solchen Arbeiten ein Mähdrescher an eine Panzerabwehrmine geriet, explodierte und ausbrannte. Der 37-jährige Fahrer wurde verletzt und kam ins Krankenhaus.
Die genaueren Umstände einiger Vorfälle sind noch aufzuklären, weil den ersten Quellen zufolge in einigen Fällen die Informationen dadurch begrenzt sind, dass die Leichen oder Leichenteile mit zahlreichen explosionsbedingten Verletzungen vorgefunden wurden.
Schlussfolgerungen
Die Analyse der vorliegenden Daten gibt Anlass, sie vorläufig als Hinweis auf Kriegsverbrechen im oben erläuterten Sinne nach Artikel 8 (2) b (xx) des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs zu bewerten, und zwar als die Verwendung von Waffen, Geschossen, Stoffen und Methoden der Kriegführung, die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen, oder die unter Verstoß gegen das internationale Recht des bewaffneten Konflikts ihrer Natur nach unterschiedslos wirken.