Die Aggregatfabrik von Vovtschansk: russische Folterkammern nach der bereits in Tschetschenien praktizierten Methode

In dem Betrieb, der seinerzeit dreitausend Mitarbeiter beschäftigte, sitzt jetzt nach Aussagen von Einheimischen ein feindliches „Nest“: Es ist ein Ort, wo Menschen verschwinden, und wer wiederkommt, hüllt sich lieber in Schweigen.
Iryna Skatschko13. September 2022UA DE EN ES FR IT RU

Ілюстрація: Сергій Приткін/ХПГ, на основі зображень від Вовчанського агрегатного заводу, dreamstime.com, wikimapia.org Illustration: Serhij Prytkin/KHPG, nach Abbildungen der Aggregatfabrik von Vovtschansk, dreamstime.com, wikimapia.org Ilustración: Serhii Prytkin/GDHK, a partir de las imágenes de la fábrica de maquinaría de Vovchansk, dreamstime.com, wikimapia.org Illustration : Sergyi Prytkine/ Groupe de défense des droits humains de Kharkiv (GDDhKh), à partir d’une image de l’usine d’agrégats de Vovtchansk, dreamstime.com, wikimapia.org Illustrazione: Serhiy Prytkin /KhPG, basato sull’immagine della Fabbrica metalmeccanica di Vovchansk, dreamstime.com, wikimapia.org Иллюстрация: Сергей Прыткин/ХПГ, на основе изображений Волчанского агрегатного завода, dreamstime.com, wikimapia.org

Illustration: Serhij Prytkin/KHPG, nach Abbildungen der Aggregatfabrik von Vovtschansk, dreamstime.com, wikimapia.org

Die Aggregatfabrik von Vovtschansk liegt fast im Zentrum der Stadt: neben dem zentralen Park mit Kinderspielplätzen auf der einen Seite und dem Stadtstrand auf der anderen. Ganz in der Nähe ist die Brücke über den Fluss Vovtscha. Früher hängten junge Frauen dort Schlösser auf, das sollte ein stabiles Eheleben gewährleisten. Jetzt befindet sich hier ein feindlicher Kontrollposten. Gewöhnlich stehen dort „DVR-Posten“ (von der „Donezker Volksrepublik“). Für viele Einwohner von Vovtschansk begann gerade an dieser Brücke ein Martyrium. Ein zweifelhafter Kontakt auf dem Mobiltelefon oder gar nicht die „richtige“ Tätowierung — und schon sitzt man hinter den Mauern der Fabrik.

In dem Betrieb, der seinerzeit dreitausend Mitarbeiter beschäftigte, befindet sich jetzt nach Aussagen von Einheimischen ein „feindliches Nest“: Ein Ort, wo Menschen verschwinden, und wer wiederkommt, hüllt sich lieber in Schweigen.

„Um sieben Uhr morgens waren sie schon in der Stadt“

Vovtschansk wurde in den ersten 24 Stunden nach Beginn des großen Krieges besetzt.

„Wir wohnen ganz nah an der russischen Grenze. Schon gegen sieben Uhr morgens am 24. Februar waren die Russen schon in der Stadt. In Kolonnen kamen Panzer, gepanzerte Transporter, Infanterie…“ berichtet die Einwohnerin Tetjana (der Name wurde aus Sicherheitsgründen geändert. Die Frau ist nach Charkiv geflohen, aber ihre Angehörigen halten sich noch in besetztem Gebiet auf). „Sofort stellten alle Betriebe ihre Arbeit ein. Zwei Brücken wurden gesprengt. Panik brach aus.“

In Vovtschansk gibt es keine eigene Bäckerei. Das Brot wurde früher aus Charkiv oder aus Nova Vodolaha geliefert. Die örtliche Bäckerei befand sich auf dem Gelände der Aggregatfabrik. Sie versorgte die Familien der Mitarbeiter mit Brot, und einiges davon ging auch in den offenen Verkauf.

„Aber im März saßen da schon die Raschisten“, erinnert sich Tetjana. „Dorthin wurden Unbequeme gebracht: ATO-Veteranen (Veteranen der Anti-Terror-Operation), ehemalige Grenzpolizisten, Polizeibeamte. Mit ihnen wurden Gespräche geführt. Dann, als dieses Kontingent erschöpft war, kamen Personen dorthin, die nicht mit den Besatzern kooperieren wollten.“

„Anfangs wurden nur Männer eingesperrt“, sagt eine Einwohnerin von Vovtschansk, „später holten sie auch Frauen ab, etwa die, deren Männer früher mal gedient hatten oder deren Sohn jetzt bei den Streitkräften war.“

„Das ist furchtbar. Es kommt ein riesiges Auto mit einem ‚Z‘, mit Maschinengewehren, sie springen über den Zaun. Wenn die Tür verschlossen ist, brechen sie sie auf.“

In der Aggregatfabrik wird enormer Druck auf die Gefangenen ausgeübt. Selbst wenn sie jemanden nach ein paar Tagen freilassen, ist er traumatisiert, er nimmt keine Telefonanrufe an und will nicht darüber reden, was passiert ist. Sie schüchtern die Leute ein, erpressen sie mit ihrer Familie, ihren Kindern.

Супутниковий знімок Вовчанського агрегатного заводу. На мосту праворуч розташовано сумнозвісний блокпост. Ⓒ Google Maps/Maxar Satellitenaufnahme von der Vovtschansker Aggregatfabrik. Auf der Brücke rechts befindet sich der berüchtigte Kontrollposten. Ⓒ Google Maps/Maxar Imagen satelital de la fábrica de maquinaria de Vovchansk. En el puente a la derecha está el mustio puesto de control. Ⓒ Google Maps / Maxar Image satellite de l’usine d’agrégats de Vovtchansk. Sur le pont, à droite, se trouve le check-point tristement célèbre. Ⓒ Google Maps/Maxar Foto satellitare della fabbrica metalmeccanica di Vovchansk. Sul ponte a destra si trova il posto di blocco tristemente noto. Ⓒ Google Maps/Maxar Спутниковый снимок Волчанского агрегатного завода. На мосту справа расположен печально известный блокпост. Ⓒ Google Maps/Maxar

Satellitenaufnahme von der Vovtschansker Aggregatfabrik. Auf der Brücke rechts befindet sich der berüchtigte Kontrollposten. Ⓒ Google Maps/Maxar

Die ersten offiziellen Mitteilungen über Vorfälle in der Aggregatfabrik tauchten im April auf. Im Fernsehen erklärte der Leiter der Militäradministration von Charkiv, Oleh Sinehubov: „In Vovtschansk haben die Besatzer die Anlagen aus einer der Fabriken nach Russland gebracht und in den Räumlichkeiten dieser Fabrik ein Gefängnis eingerichtet, ein echtes Konzentrationslager, wo die Menschen gefoltert werden. Man zwingt sie zu kooperieren, sich den russischen Streitkräften anzuschließen.“

Etwas später wurde die Information über die Fabrik auch in der Staatsanwaltschaft bestätigt. Der Leiter der Staatsanwaltschaft vom Gebiet Charkiv, Alexander Filtschakov erklärte, die Vorermittlungen über die Fabrik würden fortgesetzt: „Die Besatzer halten illegal Menschen fest und unterwerfen sie physischer wie psychischer Gewalt… Ein vollständiges Bild werden wir zu sehen bekommen, sobald die ukrainische Armee alle besetzten Gemeinden wieder unter ihre Kontrolle nimmt.“

Warum gerade die Aggregatfabrik?

Der stellvertretende Direktor der Vovtschansker Aggregatfabrik Oleh Toporkov weiß alles über den Betrieb. Er selbst musste mehrere Monate in besetztem Gebiet leben und sich vor den Russen versteckt halten.

„Die Fabrik ist ein ziemlich großes Terrain, auf dem sich die wesentlichen Werkabteilungen, Nebengebäude und Kantinen befinden, wo gleichzeitig 500 Personen bedient werden können. Es gibt Reparatur- und Service-Einrichtungen“, berichtet er nicht ohne Stolz. Die größte Werkabteilung, die Abteilung 20, ist ein rechtwinkliger Bau, der im zentralen Teil acht Meter hoch ist. An den Seiten schließen sich dreistöckige Gebäude an. Das sind die Umkleidekabinen, Büros und Lagerhallen.

Олег Топорков був змушений кілька місяців жити в окупації та переховуватись від росіян. © Денис Волоха/ХПГ Oleg Toporkov war gezwungen, mehrere Monate in besetztem Gebiet zu leben und sich vor den Russen zu verstecken. Ⓒ Denys Volokha/KHPG Oleg Toporkov tuvo que vivir en ocupación escondiéndose de los rusos durante varios meses. © Denys Volokha/GDHK Oleg Toporkov a dû vivre sous l’occupation pendant plusieurs mois et se cacher des Russes. ©Denys Volokha/GDDhKh Oleh Toporkov è stato costretto a vivere qualche mese sotto occupazione, nascondendosi dai russi. © Denis Volokha /KhPG Олег Топорков был вынужден несколько месяцев жить в оккупации и скрываться от россиян. © Денис Волоха/ХПГ

Oleg Toporkov war gezwungen, mehrere Monate in besetztem Gebiet zu leben und sich vor den Russen zu verstecken. Ⓒ Denys Volokha/KHPG

Gerade in der Abteilung 20 werden die Entführten festgehalten. Da befinden sich viele isolierte Räumlichkeiten.

„Wir hatten einen sicherheitsrelevanten Betrieb“, erklärt Oleh Toporkov. „Seit ewigen Zeiten haben wir Rüstungsgüter produziert. Und deshalb haben wir Lagerhallen, wo die Ware aufbewahrt wurde, bevor sie an den Auftraggeber ging. Man konnte die Räume plombieren. Dann kamen die Militärs und holten die bestellte Ware ab. Eben dort wurde jetzt dieses Konzentrationslager eingerichtet. Das sind große isolierte Bauten mit Stahlbetonmauern. Einige Lagerhallen haben keine Fenster, nur eine Metalltür. Diese werden als Zellen verwendet. In den Büros werden Verhöre durchgeführt. Es gibt noch weitere Lagerhallen, wo Menschen festgehalten werden.“

Ein weiterer Grund, warum die Besatzer gerade die Werkabteilung 20 gewählt haben, ist nach Meinung von Oleh Toporkov die Tatsache, dass sich daneben ein siebenstöckiges Verwaltungsgebäude befindet. Das bietet Schutz gegen Beschuss aus westlicher Richtung.

Die Fabrik selbst ist ein autonomer Betrieb mit eigenem Brunnen und eigener Kanalisation. Das ganze Terrain ist abgezäunt, mit Stacheldraht, und es sind Videokameras installiert.

Außerdem berichten Einheimische, dass der Betrieb so gelegen ist, dass es für die ukrainischen Streitkräfte bei einem Angriff auf das „feindliche Nest“ sehr schwer sein wird, zivile Ziele auszusparen. In der Nähe liegen ein Park, Wohnhäuser und ein Kindergarten, den die Besatzer demnächst wieder öffnen wollen, ohne Rücksicht auf die Gefahr für die Kinder.

Wie viele Gefangene sind in der Fabrik inhaftiert?

Einheimische, die das Glück hatten, von dort freizukommen, berichteten, dass einige mit zehn weiteren Personen in einer Zelle saßen, manche sogar mit 30 Personen, sagt Oleh Toporkov. „Genaue Zahlen wird Ihnen keiner sagen. Es sind ungefähr hundert bis hundertfünfzig Personen, je nach der Situation. Wenn es zu einem außergewöhnlichen Vorfall oder besonderen Repressalien kommt, dann ziehen sie alle Leute hier zusammen und pressen so viele in den Bau wie möglich. Wenn es darum geht, wie viele Personen man hier festhalten kann, sehen Sie — die Werkhalle ist etwa 150x50 Meter groß. Wenn man Menschen da hineintreibt, wie viele kann man da unterbringen? In einem Raum von 4x5 Metern können 30 Personen sitzen.“

Nach Aussage von Oleh Toporkov gibt es in der Fabrik alle „Varianten von Besatzern“: Mobilisierte aus den so genannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk, ihre Volksmiliz und Sicherheitsorgane, die russische Nationalgarde sowie Berufssoldaten. Alle stehen natürlich unter Leitung des FSB. FSB-Mitarbeiter führen in der Regel auch die Vernehmungen durch. Leute aus den „Volksrepubliken“ bewachen und eskortieren die Gefangenen.

Man kann für alles Mögliche in die Fabrik geraten. Abgesehen von proukrainischen Positionen kann auch einfach die Verleumdung durch einen Nachbarn der Hintergrund sein.

„1937 in voller Blüte“, sagt Tetjana.

Anscheinend werden Menschen manchmal auch entführt, um sie ganz banal auszurauben.

Uns liegt ein Bericht eines Mannes vor, der in der Fabrik mit Elektroschock gefoltert wurde, um Geld von ihm zu bekommen. Nachdem er den Besatzern seine Ersparnisse gegeben hatte, ließen sie ihn frei. Übrigens kommen nicht alle nach einem mehrstündigen oder mehrtägigen „Gespräch“ frei.

„Manche von denen, die in der Fabrik inhaftiert waren, wurden dann nach Russland abtransportiert“, sagt Oleg Toporkov. „Sie sind nicht nach Hause zurückgekehrt. Ich allein kenne etwa ein Dutzend solcher Fälle. Einige stehen auf den Listen für einen Austausch. Und es gibt Personen, von denen man dachte, sie seien erschossen worden, und nach zwei Monaten haben sie sich aus Russland, aus Belgorod, bei Verwandten gemeldet.“

Wie kann man einen Angehörigen finden?

Am 13. April nahmen Russen den Vater und zwei weitere Verwandte von Aljona Zygankova sowie den Mann von Marharyta Stalnova fest. Das passierte in dem Datschen-Kooperativ „Symbol“ im Gebiet Tschuhujiv. Warum sie entführt wurden, wissen die Frauen nicht. Vielleicht weil sie Hilfsgüter transportierten. Vielleicht auch, weil Aljonas Vater Igor einen Generator hatte und die Nachbarn ihm all ihre Telefone zum Aufladen brachten. Einige der Entführten kennen sich in technischen Dingen gut aus — vielleicht wurden sie festgenommen, damit sie die Autos der Besatzer reparierten. Vielleicht wollten die Besatzer auch einfach ein paar Autos stehlen (was sie auch getan haben).

Wie auch immer, nach Aussagen der Nachbarn kamen am 13. April Soldaten, zogen den Männern Säcke über den Kopf und brachten sie an einen unbekannten Ort.

„Im Haus haben sie alles auf den Kopf gestellt. Sie haben sogar den Schaumstoff an der Decke aufgeschnitten. Alle elektrischen Apparate sowie den Gasherd und die Gasflasche haben sie weggeschafft, ebenso Autos. Mein Vater hat einen weißen Ford Granada, außerdem nahmen sie einen Renault Kangoo und einen roten Bus mit“, sagt Aljona Zygankova.

„Die Nachbarn erzählten, dass Papas Auto keinen Treibstoff hatte. Sie schleppten es bis zu ihrem Kontrollposten, verminten es und ließen es stehen. Nach einiger Zeit kam jemand von der höheren Leitung und ordnete an, die Minen zu entfernen und das Auto nach Schestakovo zu bringen.“

Альона Циганкова. Ⓒ Денис Волоха/ХПГ Aljona Zygankova. Ⓒ Denys Volokha/KHPG Alyona Tsygankova. Ⓒ Denys Volokha/ GDHK Aliona Tsygankova. Ⓒ Denys Volokha/GDDhKh Aliona Tsyhankova. Ⓒ Denis Volokha /KhPG Алёна Цыганкова. Ⓒ Денис Волоха/ХПГ

Aljona Zygankova. Ⓒ Denys Volokha/KHPG

Zuerst sagte man den Verwandten, dass alle Festgenommenen bald freigelassen würden. Später hieß es, sie seien „aus Sicherheitsgründen“ ins tiefe Hinterland gebracht worden.

Dass das tiefe Hinterland möglicherweise Vovtschansk ist, können Aljona und Marharyta nur vermuten. Eine zuverlässige Information gibt es nicht, schon gar keine offizielle.

„Wir haben etwas durch Bekannte, entfernte Bekannte erfahren“, sagt Marharyta Stalnova. „In Vovtschansk wurde ein Mann für eine Woche inhaftiert, die Besatzer hatten einen Kontakt auf seinem Telefon gefunden, der ihnen nicht gefiel. Seine Frau ging jeden Tag mit ihrem Kind hin und bat, ihn freizulassen. Und sie haben ihn freigelassen. Als man ihm Fotos unserer Gefangenen zeigte, sagte er, dass er Personen gesehen habe, die so ähnlich aussahen. Aber ob man dem Glauben schenken kann…. Ein Mensch in so einem Zustand… Niemand weiß, was sie mit ihm gemacht haben.“

In Vovtschansker Telegram-Chats heißt es, um zu erfahren, ob sich jemand in der Aggregatfabrik befindet, müsse man zur Pforte gehen und den Namen des Vermissten angeben.

„Dann kommt ein Soldat mit einer Liste heraus. Nennen sie ihm den Namen und das Geburtsdatum. Er sieht in der Liste nach und teilt mit, ob er dort ist, und erklärt, dass Besuche und Päckchen nicht erlaubt sind. Wie lange man ihn noch gefangen halten wird, sagt er nicht“, so eine Chat-Korrespondentin.

Marharyta und Aljona können sich natürlich nicht ins besetzte Vovtschansk begeben. Eine Möglichkeit wäre, jemanden der Einheimischen zu bitten, bei der Pforte der Fabrik zu fragen. Aber die Leute haben Angst. Es hat schon Fälle gegeben, dass auch Personen eingesperrt wurden, die sich nach dem Schicksal von Vermissten erkundigten.

„Ich habe einen Bekannten ausfindig gemacht, und er hat eine junge Frau aus Vovtschansk gebeten, nach meinem Mann zu fragen“, berichtet Marharyta. „Es heißt, für Frauen sei das einfacher. Er hat nichts versprochen, zumal es dort keine Mobilverbindung gibt. Aber wir haben Antwort bekommen: Mein Mann ist gesehen worden, er lebt und repariert technische Geräte.“

Übrigens ist auch diese Information nicht offiziell. Die Frauen haben sich an die Polizei, die SBU, das nationale Fahndungsbüro und das Rote Kreuz gewandt. Und sie warten.

Das hat es schon gegeben

Die Besatzer haben sich nichts Neues ausgedacht, als sie diese Folteranlage mitten in der Stadt einrichteten. Und ich spreche jetzt nicht einmal von dem Foltergefängnis „Isolation“ in Donezk. Die Russen haben viel Erfahrung bei der Einrichtung illegaler Haftanstalten in besetzten Gebieten. Vielleicht haben sie dafür sogar eigene Spezialisten.

So haben Mitarbeiter von Memorial vor fast zwanzig Jahren das inoffizielle Gefängnissystem beschrieben, das Russland während des zweiten Tschetschenien-Kriegs im Kaukasus geschaffen hat: „Hinter der Fassade des offiziellen Vollzugs- und Ermittlungssystems besteht ein inoffizielles System illegaler Haftanstalten bei den militärischen Einheiten. Das Zentrum dieses Systems befindet sich in Chankala, im Hauptquartier der föderalen Streitkräfte. In diesem Parallelsystem werden die „Festgenommenen“ und „Vermissten“ grausam gefoltert, was schnell zum Tode führt, und es werden außergerichtliche Hinrichtungen durchgeführt. Während solche Taten im ersten Tschetschenien-Krieg von der militärischen Aufklärung und von Spezialkräften begangen wurden, wurden sie im zweiten Krieg zur regelmäßigen Praxis der Rechts- und Sicherheitsorgane (Innenministerium usw.).

Menschenrechtler berichteten damals von verschiedenen inoffiziellen Haftanstalten: mitunter waren es einfach Gruben mitten im Feld (als „Sindan“ bezeichnet), verlassene Gebäude und „zeitweilige Filtrationspunkte“, von denen wir heute so viel zu hören bekommen.

Die „Einladung“ zu einem inoffiziellen, nirgendwo festgehaltenen Gespräch, wo man aus einem Menschen jedes Geständnis herausprügeln kann, ist bei den Sicherheitsbehörden tief verwurzelt wahrscheinlich noch aus Sowjetzeiten. Alexander Tscherkassov schrieb Mitte der Nuller Jahre in einem Artikel über Geheimgefängnisse in Tschetschenien: „Der Traum jedes russischen Geheimdienstmitarbeiters ist es, mit einem Menschen ‚außerhalb des Prozesses‘ zu reden, wenn er weder durch einen anwesenden Anwalt noch durch die Strafprozessordnung geschützt ist. Man ‚lädt‘ ihn ein oder er wird ‚gebracht‘, und man ‚spricht‘ mit ihm …bis man ein Schuldbekenntnis von ihm bekommt. Eine Person ‚verschwinden‘ zu lassen oder sie zumindest lange in der Gewalt zu haben – das ist der Gipfel aller Träume!“

Zwanzig Jahre später hat sich bekanntlich bei den Nachbarn kaum etwas geändert. Auch der Regierungschef ist gleich geblieben.

In Vovtschansk hatten die Besatzer Erfolg: Für die Stadtbewohner, die auf ein angenehmes Gespräch verschwanden, musste man sich nicht, wie in Tschetschenien, auf die Suche nach verlassenen Gebäuden machen oder eigens Gruben ausheben. Unmittelbar im Zentrum fanden sich ideale Räumlichkeiten.


Nach der Genfer Konvention ist im Umgang mit Zivilisten verboten

  • Angriffe auf Leib und Leben namentlich Mord jeglicher Art, Verstümmelung, grausame Behandlung und Folterung;
  • die Gefangennahme von Geiseln;
  • Beeinträchtigung der persönlichen Würde, namentlich erniedrigende und entwürdigende Behandlung;
  • Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil eines ordnungsmäßig bestellten Gerichtes, das die von den zivilisierten Völkern als unerlässlich anerkannten Rechtsgarantien bietet.

Aber Russland ist weit weg von der Genfer Konvention.

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