Zusammenfassende Übersicht über die ersten 270 Tage des großangelegten Kriegs Russlands gegen die Ukraine im Gebiet Charkiv

Statistik der internationalen Verbrechen, die die Charkiver Menschenrechtsgruppe in der Datenbank von T4P dokumentiert hat.
Vladyslav Dolzhko28. Januar 2023UA DE EN FR RU

“Цвинтар” ракет і снарядів, випущених по Харкову і області за місяці повномасштабної війни. Скріншот з відео Харківської обласної прокуратури „Friedhof“ von Raketen und Granaten, die in den Monaten des großangelegten Kriegs in der Stadt und im Gebiet Charkiv abgefeuert wurden. Screenshot eines Videos der Staatsanwaltschaft des Gebiets Charkiv « Cimetière » de missiles et d’obus tirés sur Kharkiv et sa région depuis le but de cette guerre à grande échelle. Capture d’écran d’une vidéo du bureau du procureur régional de Kharkiv “Кладбище” ракет и снарядов, выпущенных по Харькову и области за месяцы полномасштабной войны. Скриншот видео Харьковской областной прокуратуры

„Friedhof“ von Raketen und Granaten, die in den Monaten des großangelegten Kriegs in der Stadt und im Gebiet Charkiv abgefeuert wurden. Screenshot eines Videos der Staatsanwaltschaft des Gebiets Charkiv

Die Charkiver Menschenrechtsgruppe (KHPG) dokumentiert internationale Verbrechen (Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen), die die russischen Besatzer im Gebiet Charkiv mutmaßlich begangen haben.

Wir veröffentlichen eine Zusammenfassung über die Entwicklung im Gebiet Charkiv in den ersten 270 Tagen des umfassenden russischen Krieges gegen die Ukraine (vom 24. Februar bis zum 20. November 2022), wie sie die Charkiver Menschenrechtsgruppe in der Datenbank von T4P dokumentiert hat.

Eine detaillierte Beschreibung der Zeit vom 24. Februar bis zum 20. November 2022 mit Links zu den Quellen ist in den täglichen Chroniken für diesen Zeitraum enthalten.

Die vollständige Fassung dieser Publikation finden Sie auf Ukrainisch auf der Website der Charkiver Menschenrechtsgruppe.

Allgemeine Angaben zu den dokumentierten Fällen

In 270 Tagen wurden insgesamt 7.215 Vorfälle im Gebiet Charkiv dokumentiert, davon die meisten in der Stadt Charkiv (2.515) sowie auf den Bezirk Isjum (mindestens 1.814). Im Charkiver Bezirk dieses Gebiets wurden ebenfalls viele Informationen dokumentiert, mindestens 1.349 Fälle lassen sich auf Grund einiger Merkmale vorläufig als internationale Verbrechen qualifizieren, mutmaßlich begangen von russischen Okkupanten.

Im Bezirk Tschuhujiv im Gebiet Charkiv wurden 586 Fälle registriert, in den Bezirken Kupjansk 547, Bohoduchiv 345, Losova 42 und Krasnohrad 14.

© Serhij Prytkin / KHPG © Serhiy Prytkin / KHPG Crimes de guerre dans la région de Kharkiv en 270 jours de guerre © Serhiy Pritkine / GDHK

© Serhij Prytkin / KHPG

Beim Sammeln von Informationen legt die Charkiver Menschenrechtsgruppe den Schwerpunkt auf persönliche Kontakte mit unmittelbaren Opfern oder Zeugen von Kriegsverbrechen. So lassen sich die Angaben effizient dokumentieren, die in künftigen Gerichtsprozessen verwendet werden können.

Mit Einverständnis der Kontaktpersonen der Charkiver Menschenrechtsgruppe kann die Geschichte auch als Interview aufgezeichnet und in Textform auf der Website der Organisation in der Rubrik „Stimmen des Krieges“ sowie als Video in ihrem Youtube-Kanal veröffentlicht werden.

Opfer unter der Zivilbevölkerung

In 270 Tagen hat die Charkiver Menschenrechtsgruppe Daten über mindestens 2.879 Vorfälle zusammengetragen, in denen es zu Verlusten in der Zivilbevölkerung oder zur Verletzung von Bürgerrechten gekommen ist.

Ermittler und Journalisten konnten Informationen zu mindestens 5.541 Personen zusammenstellen und verarbeiten, die Opfer von Kriegsverbrechen der russischen Invasoren geworden waren. Nach unseren Erkenntnissen sind darunter mindestens 144 Kinder.[1]

Im Zeitraum vom 24. Februar bis zum 20. November 2022 hat die Charkiver Menschenrechtsgruppe mindestens 682 Vorfälle dokumentiert, bei denen Zivilpersonen ums Leben kamen: 1.389 Todesfälle von Zivilisten wurden verzeichnet, unter ihnen mindestens 61 Kinder.

Ebenso wurden im untersuchten Zeitraum mindestens 595 Vorfälle festgehalten, in denen Personen verletzt oder auf andere Weise gesundheitlich geschädigt wurden, konkret erfasst wurden 1.643 Verletzte, darunter mindestens 74 Kinder.

In der vollständigen Fassung bringt die Charkiver Menschrechtsgruppe statistische Angaben zum Verschwinden von Zivilpersonen, zu Vergewaltigungen und anderen Menschenrechtsverletzungen.

Objekte ziviler Infrastruktur, die bei Kampfhandlungen beschädigt wurden

In 270 Tagen konnte die Charkiver Menschenrechtsgruppe im Gebiet Charkiv die Vernichtung oder Beschädigung von mindestens 6.271 Objekten der zivilen Infrastruktur durch Kampfhandlungen belegen.

Insbesondere dokumentiert die Gruppe Schäden im Wohnungs-, Bildungs- und Gesundheitssektor, im Bereich von Handel und Produktion sowie von historischen Denkmälern und Bauten, die künstlerischen oder religiösen Zwecken dienen.

Im Gebiet Charkiv wurden nach unseren Erkenntnissen mindestens 3.605 Wohngebäude beschädigt oder zerstört, 292 Bildungsinstitutionen, 67 Einrichtungen der Gesundheitsversorgung und 855 Objekte im Bereich von Gewerbe, Handel und Produktion.

© KHPG © KHPG Bâtiments d’habitation et infrastructures civiles endommagés lors des opérations militaires © GDHK

© KHPG

Typisierung der im untersuchten Zeitraum dokumentierten Vorfälle

Vom 24. Februar bis zum 20. November 2022 wurden im Gebiet Charkiv vor allem Fälle von Beschuss oder Bombardierungen festgehalten — insgesamt 4.618 Fälle.

Ein deutlicher Anstieg ist beim Verschwinden von Personen zu verzeichnen. Im untersuchten Zeitraum wurden 1.387 Vorfälle mit 1.710 Opfern registriert. Im selben Zeitraum wurden außerdem 157 Fälle von Folterungen oder unmenschlicher Behandlung dokumentiert, 141 davon in den letzten drei Monaten.

Beim Zusammenstellen der Informationen über alle dokumentierten Fälle nimmt die Charkiver Menschenrechtsgruppe eine vorläufige Einstufung nach den Kriterien des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) vor. Die vollständige Fassung liefert statistische Angaben über die Zahl der festgehaltenen und vorläufig qualifizierten Fälle enthalten.

© KHPG © KHPG Types d’événements été documentés pendant la période étudiée (cas documentés) © GDHK

© KHPG

Schlussfolgerungen

Eine Überprüfung der Dokumentation lässt die Feststellung zu, dass eine große Anzahl von Vorfällen, die im untersuchten Zeitraum stattgefunden haben, vorläufig als internationale Verbrechen einzustufen sind, die mutmaßlich von russischen Besatzern begangen wurden.

Insbesondere können wir die genannten Ereignisse im Sinne des Römischen Statuts des IStGH vorläufig als Kriegsverbrechen (Artikel 8 (2) a und b), als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Artikel 7 (1)) sowie als Genozid nach Artikel 6 qualifizieren.

Die Charkiver Menschenrechtsgruppe wird weiterhin Informationen dokumentieren, ergänzen und untersuchen, um Rechtspositionen für internationale strafrechtliche Ermittlungsverfahren und internationale Gerichtsinstanzen zu erarbeiten und zu vertreten.


Die Zusammenstellung von Informationen wird fortgesetzt. Wenn Ihnen zusätzliche Informationen vorliegen, verwenden Sie bitte dieses Formular.

Die vollständige Fassung dieser Publikation ist in ukrainischer Sprache auf der Website der Charkiver Menschenrechtsgruppe zugänglich.

Der Autor dankt dem Team der Charkiver Menschenrechtsgruppe, ohne dessen gemeinsame und selbstlose Arbeit dieser Überblick nicht hätte erstellt werden können.


[1] Die Angabe über die Anzahl der verletzten Kinder wird noch überprüft.

Artikel teilen