‚Kaskade der Grausamkeit‘
Das Team von Truth Hounds hat in Kooperation mit der syrischen humanitären Hilfsorganisation „Weißhelme“ eine gründliche Untersuchung unter dem Titel: „Kaskade der Grausamkeit: Analyse der Taktik russischer Doppelschläge in der Ukraine“ durchgeführt. Diese hat einen engen Zusammenhang zwischen der Praxis doppelter Angriffe von russischer Seite in Syrien und in der Ukraine bestätigt.
Doppelschläge sind eine Taktik, die in modernen Kriegen verbreitet ist, insbesondere in Russlands Aggressionskrieg gegen die Ukraine. Das Wesen dieser Attacken besteht darin, dass einige Zeit nach dem ersten Angriff ein zweiter erfolgt, der die Rettungskräfte ins Visier nimmt, Ärzte und andere Personen, die den Opfern des ersten Angriffs Hilfe leisten.
Die Untersuchung bestätigt eine Eskalation beim Einsatz doppelter Attacken: 2024 hat sich ihre Zahl seit Beginn der flächendeckenden Invasion fast verdoppelt.
Systematischer Charakter der Angriffe
Die Truth Hounds haben sechs Recherche-Reisen durchgeführt, um den Ablauf und die Folgen einiger konkreter Doppelangriffe zu dokumentieren, und zwar in Charkiv, Tscherkaska Losova, Pokrovsk, Zaporizhhia, Odessa und Chmelnyzki. Seit Russlands Großinvasion in die Ukraine im Februar 2022 bis zum 31. August 2024 haben Ermittler von Truth Hounds 36 Doppelangriffe verifiziert, obwohl die tatsächliche Anzahl solcher Fälle wahrscheinlich bei über 60 liegt. Diese Angriffe erfolgen nach einem exakten Schema: Auf den ersten Schlag folgt ein zweiter, manchmal so, dass er zeitgleich mit dem Eintreffen der Rettungsdienste erfolgt, in der Regel nach zehn Minuten bis zu einigen Stunden nach der ersten Attacke.
In diesem Jahr haben diese Angriffe deutlich zugenommen. Von Januar bis Ende August 2024 haben die Truth Hounds 20 Doppelattacken verifiziert. Das liegt über der Gesamtzahl der Jahre 2022 und 2023. Die Organisation wies auf die alarmierende Eskalation dieser Taktik im militärischen Konflikt hin. Der deutliche Anstieg fällt zusammen mit dem Einsatz einer neuen Leitung der russischen Raketenstreitkräfte, unter anderem der Ernennung von Generalleutnant Dmitrij Klimenko zum Befehlshaber der Raketenstreitkräfte und der Artillerie.
Mindestens in 20 der untersuchten 36 Angriffe wurden Rettungskräfte getötet oder verletzt.
Informationen aus offenen Quellen zeigen, dass solche wiederholten Schläge genau dann ausgeführt wurden, wenn russische Truppen das Eintreffen von Rettungsdiensten und anderen Zivilpersonen am Ort des ersten Angriffs bestätigen konnten.
Die Untersuchung demonstriert, dass die russischen Streitkräfte ein breites Spektrum von Waffen zur Anwendung doppelter Attacken einsetzen, darunter ballistische Raketen (9M723) und Marschflugkörper (9M727/9M728/9M729), die aus dem operativ-taktischen Raketenkomplex „Iskander“ abgefeuert werden, sowie Artilleriegeschütze und -raketen, einschließlich die sowjetischen Mehrfachraketenwerfer „Grad“ und das S-300-System, sowie „Shahed“— und FPV-Drohnen.
Ziele von Doppelangriffen
Doppelschläge werden systematisch gegen Rettungskräfte ausgeführt, die gewöhnlich als erste am Ort eines Angriffs eintreffen und lange Zeit dort verbringen. Polizisten, die die Angriffe dokumentieren, hatten ebenfalls bedeutende Verluste zu verzeichnen, ebenso wie das medizinische Personal, das ärztliche Hilfe leistete. Außerdem waren wiederholt Journalisten, die über die Folgen berichteten, und lokale Einwohner, die versuchten, Verletzte zu retten, Opfer von Doppelangriffen.
Das syrische Szenario
Doppelschläge waren im Bürgerkrieg in Syrien eine verbreitete Praxis. Das Syrische Zentrum für Recht und Verantwortung (Syria Justice and Accountability Centre, SJAC) verzeichnete von 2013 bis 2021 58 Doppelangriffe. Diese verfolgten in Syrien das Ziel, nicht nur der Zivilbevölkerung Schaden zuzufügen, sondern nahmen die Rettungskräfte ebenso wie den syrischen Zivilschutz ins Visier, der unter der Bezeichnung „Weißhelme“ bekannt ist. Seit seiner Einrichtung 2014 leistet er unter größter Gefahr lebensnotwendige humanitäre Hilfe. Seine Rolle bei der Rettung von Zivilisten vor Luftschlägen und anderen Angriffen wurde durch die Praxis der Doppelschläge noch schwieriger. 2023 teilten die „Weißhelme“ mit, dass seit Beginn ihrer Tätigkeit 306 ihrer Rettungskräfte durch syrische und russische Militärs getötet worden seien, im Wesentlichen während ihrer Rettungseinsätze durch einen wiederholten Angriff.
Gerade deshalb rufen die Vertreter der Truth Hounds und der Weißhelme die internationale Gemeinschaft dazu auf, entschieden auf die zunehmende Praxis von Doppelschlägen durch die Streitkräfte der Russischen Föderation zu reagieren, insbesondere im Kontext des andauernden militärischen Konflikts in der Ukraine. Diese Eskalation ist offenbar die Folge einer unzureichenden internationalen Reaktion auf ein ähnliches Vorgehen der russischen Truppen in Syrien sowie auf die Tatsache, dass die Verantwortlichen für diese Attacken ungestraft blieben.
Die aktuelle Situation bestätigt eine kritische Gesetzmäßigkeit: Die Straflosigkeit für internationale Verbrechen leistet ihrer Wiederholung Vorschub, sie setzt Zivilpersonen einer noch größeren Gefahr aus. Das Ausbleiben effizienter Maßnahmen, um solchen Verstößen entgegenzuwirken, untergräbt internationale Normen. Für die Täter ist es geradezu eine Ermunterung zu weiteren verbrecherischen Handlungen.
Die Taktik doppelter Angriffe führt zu erheblichen Opfern unter der Zivilbevölkerung und verstößt oft einschneidend gegen die Normen des humanitären Völkerrechts. Unsere Untersuchung bestätigt, dass Russland diese Taktik bewusst einsetzt, um Zivilpersonen und Mitarbeitern von Hilfsorganisationen Schaden zuzufügen.
Die russischen Doppelangriffe in der Ukraine und in Syrien verfolgen ein gemeinsames Ziel: die Leiden der Opfer der ursprünglichen Angriffe zu vermehren und jene physisch zu vernichten, deren Pflicht es ist, Hilfe zu leisten, und die Widerstandsfähigkeit des ukrainischen wie des syrischen Volks zu lähmen.
Juristische Analyse
Nach einer juristischen Analyse wurde festgestellt, dass die russischen Doppelangriffe nach mehreren Bestimmungen des Römischen Statuts Kriegsverbrechen darstellen. Wenn ausschließlich Zivilobjekte zu Schaden kommen, verstößt sowohl der erste als auch der zweite Schlag gegen Artikel 8(2)(b)(i) und 8(2)(b)(ii).
Die systematischen Angriffe auf Ersthelfer, in erster Linie auf medizinisches Personal sowie Mitarbeiter des Zivilschutzes, sind ein Verstoß gegen Artikel 8(2)(b)(xxiv), der den Angriff auf Personen verbietet, die die Kennzeichen der Genfer Konventionen tragen.
Selbst wenn die ersten Angriffe militärischen Zielen galten, zeugt das Vorgehen, wie es bei der Nutzung von Aufklärungsmitteln für die Auswahl des Zeitpunkts für Folgeschläge dokumentiert wird, von der klaren Absicht, Zivilpersonen maximalen Schaden zuzufügen und geschützte Personen anzugreifen. Der Zusammenhang zwischen der Ernennung einer neuen Leitung der Raketentruppen und der Zunahme solcher Angriffe weist darauf hin, dass dieser Taktik ein Beschluss auf politischer Ebene zugrunde liegt.
Der systematische Charakter dieser Angriffe, wie er in Syrien und in der Ukraine festgestellt wurde, sowie die russische Kriegspropaganda, die Angriffe auf Rettungskräfte ausdrücklich ermutigt, zeugen davon, dass auf der Befehlsebene entsprechende Kenntnisse und Absichten vorliegen. Derartige vorsätzliche Angriffe auf geschützte Personen und Objekte müssen umgehend durch interne und internationale rechtliche Mechanismen geahndet werden.
Eine rechtliche Analyse bestätigt, dass diese Angriffe einen krassen Verstoß gegen grundlegende Prinzipien des humanitären Völkerrechts darstellen. Hier ist eine umgehende internationale Reaktion gefragt, damit eine derartige Taktik in der modernen Kriegsführung nicht zur Normalität wird.
Quelle: Kaskade der Grausamkeit: Analyse der Taktik russischer Doppelschläge in der Ukraine