57 Leichen, die in einem Massengrab in Isjum gefunden wurden, konnten bis heute nicht identifiziert werden
Den Sicherheitskräften ist es bisher nicht gelungen 57 Leichen zu identifizieren, die in einem Massengrab in der Umgebung von Isjum im Gebiet Charkiv gefunden wurden.
Dies teilte der Vertreter der Gebietsstaatsanwaltschaft Charkiv Dmytro Tschubenko mit.
Von weiteren 58 Personen, die in Isjum begraben sind, seien die Personendaten festgestellt worden, es sei jedoch nicht möglich gewesen, eine DNA-Untersuchung durchzuführen, weil es keine Angehörigen gebe.
Tschubenko berichtete ebenfalls, dass über 20 Leichen Verletzungen aufweisen, insbesondere Frakturen an verschiedenen Stellen, und 15 zeigen Folterspuren.
„Bei der Untersuchung der exhumierten Leichen fanden die Experten bei 15 Opfern Schussverletzungen, bei 87 Verletzungen durch Explosionen, bei mindestens 15 Folterspuren (so wurden sie mit gefesselten Händen und mit Stricken um den Hals vorgefunden). Bei 23 war es zu Frakturen der Kiefer, der Schädelknochen, Arme oder Rippen gekommen“, erklärte der Vertreter der Staatsanwaltschaft.
Laut Tschubenko haben die Sicherheitskräfte und Experten das Massengrab im Laufe der Ermittlungen mehr als hundertmal untersucht. Über 450 unterschiedliche Gutachten wurden erstellt, um die Todesursachen zu klären und das Vorliegen von Verletzungen sowie besonderer Merkmale, die zur Identifizierung der Leichen beitragen können.
Massengrab bei Isjum
Im September letzten Jahres, nach der Befreiung von Isjum, entdeckten Sicherheitskräfte in einem Wald in der Nähe der Stadt ein Massengrab. Die Ermittler konnten 451 Leichen exhumieren: 198 männliche und 212 weibliche Zivilisten, sieben Kinder und 22 Soldaten.
Hier finden Sie ein Video von T4P vom Ort des Massengrabs in Isjum
Im Dezember 2022 bestätigte ein DNA-Gutachten, dass sich die Leiche des Kinderautors Volodymyr Vakulenko in dem Massengrab befand.
Bereits Ende Dezember 2022 wurde bekannt, dass im Wald bei Isjum auch die Leiche des Leiters der Isjumer Organisation „Plast“ Oleh Jefymenko vergraben worden war. Eine Untersuchung bestätigte, dass der Mann gefoltert worden war.
Wie auch Volodymyr Vakulenko hatten die Russen Oleh Jefymenko aus dem eigenen Haus entführt, als proukrainischen Aktivisten. Danach galt Jefymenko als vermisst. Am 28. Dezember letzten Jahres teilte man seiner Frau mit, dass ihr Mann zu Tode gefoltert worden war.
Wie der Bürgermeister von Isjum, Volodymyr Mazokyn, im September letzten Jahres feststellte, war Isjum zu einer Stadt des Massenterrors geworden, den die Russen auf unterschiedliche Weise „nicht einmal gegen die absolute Mehrheit, sondern das absolute Maximum unserer Bevölkerung“ anwandte. „Der eine wurde gefoltert, der andere psychologisch unter Druck gesetzt, wieder andere wurden der Freiheit beraubt, es gibt Tausende solcher Geschichten“, sagte Mazokyn.
In einem Interview mit Journalisten der Deutschen Welle berichtete der Direktor der Charkiver Menschenrechtsgruppe Jevhen Sacharov, dass sich bei der Befreiung von Territorien im Gebiet Charkiv herausstellte, dass es gerade in diesem Gebiet mehr als die Hälfte aller Vermissten gegeben hatte, darunter auch gewaltsam verschleppte Zivilisten. In der von der Menschenrechtsinitiative „Tribunal für Putin“ (T4P) zusammengestellten Datenbank sind 4.179 vermisste Personen verzeichnet, unter ihnen waren auch Minderjährige. Allein auf das Gebiet Charkiv entfallen 2.176 Vermisste, davon 88 Kinder.
Nicht/Identifizierte
Im Dezember 2022 konnten Sicherheitsorgane 899 Leichen im gesamten Gebiet Charkiv exhumieren.
„So viele Leichen hatten wir nie gesehen. Durchschnittlich exhumieren wir ungefähr zehn täglich, aber damit ist die Arbeit nicht beendet. Das ist natürlich sehr schwierig“, so äußerte sich Serhij Bolvinov, der Leiter der Ermittlungsabteilung in der Nationalen Polizei im Gebiet Charkiv, gegenüber Journalisten der BBC.
Damals erklärten Experten, es sei aus mehreren Gründen ziemlich schwierig, die Leichen zu identifizieren. Wegen der Kampfhandlungen hatten viele Spezialisten das Gebiet Charkiv verlassen, und neues Personal anzulernen erforderte Zeit. Im Dezember letzten Jahres erklärte die Laborantin Viktoria, dass nur acht Mitarbeiter in ihrer Abteilung verblieben seien, daher stünden sie unter hohem Arbeitsdruck.
Im letzten Jahr zog sich die Identifizierung der Leichen auch durch Stromabschaltungen in die Länge. „Eine hochpräzise Ausrüstung wird plötzlich abgeschaltet, und wir müssen mit allem von vorne beginnen“, berichtete Viktoria. Auch ein Generator half da nicht, an manchen Orten gab es tagelang keinen Strom.
Wie Journalisten der BBC berichteten, wurde die Arbeit noch dadurch erschwert, dass viele Leichen starke Verbrennungen aufwiesen. „Bei hohen Verbrennungsgraden gibt es fast kein genetisches Material“, erklärte der Gerichtsmediziner Oleh Podorozhnyj. „Wir schicken die Knochenfragmente ein, aber manchmal können die Experten daraus kein genetisches Muster gewinnen und bitten uns, weitere Proben zu schicken. Darum dauert das alles so lange.“
Darüber hinaus machten die Experten noch im letzten Jahr darauf aufmerksam, dass nicht alle Getöteten nahe Angehörige haben, die genetisches Material zur Verfügung stellen können. Viele haben ja das Land verlassen.
Wie der Direktor der Europäischen Programme der Internationalen Kommission für Vermisste (ICMP, International Commission on Missing Persons) und Leiter ihrer Programme in der Ukraine, Matthew Holliday, unterstrich, wird die Ukraine Fälle des Verschwindens selbst nach Ende der Kampfhandlungen noch jahrelang untersuchen. Es wird extrem schwer sein festzustellen, wie viele Menschen überleben konnten und wie viele Massengräber noch nicht entdeckt wurden. Angesichts dieser Situation erklärten sich die Experten der ICMP bereit, die Ukraine bei der Aufklärung schwieriger Fälle zu unterstützen. „Wenn man davon ausgeht, dass die Zahl der in der Ukraine vermissten Personen bei annähernd 30.000 liegt, wobei das nicht die endgültige Zahl ist, muss man in den nächsten Jahren mindestens 90.000 Proben von Verwandten und über 30.000 Proben von Überresten jedes Vermissten sammeln und auswerten. Das wird auch Fälle betreffen, die bereits geschlossen wurden, weil die wissenschaftlichen Mittel nicht zur Verfügung standen“, so eine Feststellung der ICMP aus dem letzten Jahr mit. Ein hochpräzises DNA-Labor erlaube es, einen Getöteten auch unter schwierigsten Bedingungen zu identifizieren, selbst wenn man mit beschädigten Knochenproben arbeiten muss.
Bereits im August 2022 erklärte die Generaldirektorin der Organisation Kathryne Bomberger, dass die ICMP die erforderlichen Proben in der Ukraine selbst sowie auch in den Ländern sammeln kann, die zeitweilig Flüchtlinge aufgenommen haben, die sich gezwungen sahen, die Ukraine aufgrund der russischen Aggression zu verlassen.