Stimmen des Krieges: Kateryna Rinditsch

“Fünf Menschen wurden dort getötet, unter anderem eine schwangere Frau. ”
Taras Sosulinskyj. Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker09. Februar 2023UA DE EN ES FR IT RU

Катерина Риндич, Харків Kateryna Rinditsch, Charkiv Kateryna Ryndych, Kharkiv Kateryna Ryndych, Járkiv Катерина Риндич, Харьков

Kateryna Rinditsch, Charkiv

Ich bin fünfundsechzig Jahre alt und Rentnerin. Ich bin aus Charkiv nach Lviv gekommen. Geboren bin ich im Gebiet Sumy, an der ukrainischen Grenze zu Russland. Früher mal gingen die Russen bei uns zur Schule — jetzt schießen sie...

1976 trat ich in eine Lehranstalt in Charkiv, ein und danach wurde ich zur Arbeit in die Stadt Gorkij geschickt. Nach einiger Zeit kehrte ich nach Charkiv zurück, heiratete und blieb. Ich arbeitete auf einer Baustelle, und als die Kinder auf die Welt kamen, ging ich als Erzieherin in den Kindergarten. Danach war ich in einer Fabrik tätig, dann im Handel und zuletzt an der Kasse. Jetzt bin ich in Rente. Manchmal verdiene ich etwas dazu. Ich sticke gern, deshalb sticke ich nach der Arbeit Perlen. Ich habe eine kleine Datscha, aber sie liegt an der Grenze zu Russland und jetzt haben sich dort die Besatzer eingerichtet.

Wie verlief Ihr erster Tag dieser groß angelegten Aggression?

Am 23. gingen wir noch im Gorkij-Park spazieren und dachten an nichts Böses. Gingen ruhig schlafen und wurden morgens von Explosionen und Anrufen geweckt. Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass es Krieg geben könnte. Panik brach aus: Was, wohin, wen anrufen? Meine Tochter rief an und sagte: “Mama, wir gehen in den Luftschutzkeller. Mach dich fertig und komm mit.” Aber ich beschloss, zuhause zu bleiben.

Haben Sie Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung gesehen?

Am Anfang bombardierten sie vor allem den Charkiver Stadtteil Nord-Saltivka. Ich wohne auch in Saltivka, aber im alten Teil. In der Nacht hörte man Pfeifen, Flugzeuge. Am Morgen ging ich hinaus und sah, dass die Fenster herausgefallen waren und ein Geschäft durch die Explosion zerstört wurde. Irgendetwas brannte in der Blücherstraße, dort war schwarzer Rauch, das ganze Gebiet war in Rauch gehüllt... Ich lief hinaus, um etwas für die Kinder im Luftschutzkeller zu kaufen. In den Geschäften gab es nicht mehr viel, ein paar Konserven, Lebkuchen. Jeden Tag gab es Feuergefechte, ständig brannte es irgendwo. In unserem Bezirk schlug ein Geschoss vor der Schule ein, in die mein Enkel geht. Gott sei Dank explodierte es erst auf der Straße, aber dann traf es doch noch die Schule.

Hinter meinem Haus schlug eine Granate ein. Ich telefonierte, es hieß, dass dort fünf Menschen getötet worden seien, unter anderem eine schwangere Frau.

Meine ältere Tochter hatte eine Dreizimmer-Wohnung in Nord-Saltivka. Eine Granate schlug ein, und ich weiß nicht, was aus der Wohnung geworden ist. Und meine jüngere Tochter hatte vor dem Neuen Jahr einen Kredit aufgenommen. In ihre Wohnung ist auch ein Geschoss eingeschlagen.

Зруйнований будинок на Салтівці, 3 березня 2022 року, фото: ДСНС Zerstörtes Haus in Saltivka, Charkiv, 3. März 2022. Foto: Staatlicher Rettungsdienst Wrecked building in Saltivka, March 3, 2022, photo: State Emergency Service Casa destruida en Saltivka, 3 de marzo de 2022. Foto: Departamento de Emergencias del Estado Разрушенный дом на Салтовке, 3 марта 2022 года, фото: ГСЧС

Zerstörtes Haus in Saltivka, Charkiv, 3. März 2022. Foto: Staatlicher Rettungsdienst

Wie waren die nächsten Tage, wie sind Sie aus der Stadt herausgekommen?

Die Kinder waren einige Tag im Luftschutzkeller. Dann rief meine Tochter an und sagte: “Mama, wir werden die Stadt verlassen.” Die Kinder hatten große Angst. Ich habe zwei Enkelinnen, die jeweils fünf Jahre alt sind, und einen achtjährigen Enkel. Wenn die Sirene losgeht, hält er sich die Ohren zu und gerät in Panik. Sie entschlossen sich zu gehen und ich fuhr mit ihnen. Am Morgen hielt ich ein Auto an und fuhr zu ihnen in den Luftschutzkeller. Das war am 5. März. Vom Luftschutzkeller brachten uns die Schwiegersöhne mit den Autos zum Bahnhof. Wir standen sehr lange am Bahnhof, weil viele Menschen weg wollten. Dazu war auch noch schlechtes Wetter: Die Taschen standen auf dem Schnee und die Kinder saßen auf den Taschen, in Decken gehüllt. So saßen wir wohl fünf Stunden auf dem Bahnhof. Über uns flogen Flugzeuge und wir wussten nicht, ob das unsere waren oder nicht. Es war entsetzlich.

Gibt es vielleicht etwas, was Sie den Russen sagen wollen?

Ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu ihnen. Aber das, was sie mit unserem Land gemacht haben, ist einfach unerträglich … . Holt eure Kinder hier weg, sie kommen hier doch um! Unsere kommen um und eure kommen um! Und alles wegen eures Vollidioten Putin. Tun euch eure Kinder und Enkelkinder denn nicht leid? Ihr tötet Kinder, unschuldige Menschen! Und überhaupt, Kindergärten, Schulen, Einkaufszentren und Parks — sind das etwa militärische Objekte? Was bombardieren sie? Den Öko-Park haben sie bombardiert, die Tiere getötet! Haltet euren Unmenschen auf! Wie lange soll man das noch aushalten?

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