Folterungen von Zivilisten durch Russen in zeitweilig besetztem Gebiet sind ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Die Initiative „T4P“ hat dem Büro des Staatsanwalts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ein Dokument übermittelt, in dem Juristen darlegen, dass Folter durch die russische Besatzungsmacht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als Kriegsverbrechen zu qualifizieren sind.
26. Juli 2025UA DE EN RU

© Ukrainisches Krisen-Medienzentrum

Der 26. Juni ist der Internationale Tag der Unterstützung von Folteropfern. An diesem Tag trat 1987 die UN-Konvention gegen Folter in Kraft. Am 26. Juni um 12.50 fand im Ukrainischen Krisen-Medienzentrum eine Pressekonferenz statt. Vertreter der Charkiver Menschenrechtsgruppe (ChPG), der Ukrainischen Helsinki- für Menschenrechte und des Zentrums für Bürgerliche Freiheiten Jevhen Sacharov, Oleksandr Pavlitschenko und Natalja Jaschtschuk berichteten von Folterungen von Zivilpersonen in den zeitweilig besetzten ukrainischen Gebieten und stellten die Erklärung vor, die die Initiative „Tribunal für Putin“ (T4P) dem Büro des Staatsanwalts des IStGH zugeleitet hatte.

Darin wird dargelegt, dass diese Folterungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu qualifizieren sind. Die Mitteilung liegt auf Ukrainisch und auf Englisch bei khpg.org vor.

Die russländische Besatzungspolitik hat sich die Vernichtung bewusster Ukrainer sowie die Einschüchterung aller anderen zum Ziel gesetzt. Personen, die Russland gegenüber loyal sind, will sie zur Ausreise nach Russland oder zum Verbleib an ihrem bisherigen Wohnort bewegen. Diese Strategie entspricht einer Aufteilung der Ukrainer in vier Gruppen, die nach Forschungsberichten von der russischen Spionageabwehr eingeführt wurde:

  • Personen, die physisch zu liquidieren sind,

  • Personen, die unterdrückt und eingeschüchtert werden sollen,

  • Personen, die zur Zusammenarbeit bewegt werden sollen,

  • Personen, die zur Zusammenarbeit bereit sind.

In der Okkupation befinden sich vor allem ehemalige Militärs in Gefahr, die von 2014-2021 in den Streitkräften gedient haben, Sicherheitskräfte, Grenzsoldaten, Sanitäter sowie Mitarbeiter staatlicher Behörden und der lokalen Selbstverwaltung, Abgeordnete lokaler Räte, Politiker, Unternehmer, Journalisten, Geistliche. Anscheinend verfügten die Vertreter der Besatzungsmächte im Voraus über Listen mit solchen Personen. Diese wurden entweder entführt und verschwanden spurlos, oder sie wurden widerrechtlich festgenommen und gewöhnlich in Untersuchungsanstalten festgehalten. Dies waren meist inoffizielle, für den Aufenthalt von Personen vollkommen ungeeignete Einrichtungen, was eine Folter allein schon durch die Haftbedingungen darstellt. Darüber hinaus wurden die Gefangenen grausam gefoltert, um gewünschte Informationen von ihnen zu erhalten oder sie zur Kooperation zu zwingen.

Im Gebiet Charkiv wurden nach der Befreiung 33 solcher Foltereinrichtungen gefunden, in denen Menschen misshandelt worden waren &ndash in Isjum, Kupjansk, Balaklija, Vovtschansk und anderswo. Die Beschreibung einiger davon sowie Zeugenaussagen von Betroffenen finden sich bei khpg.org.

Selbst in den seltenen Fällen, in denen Gefangene in dafür vorgesehenen Räumlichkeiten festgehalten wurden, waren dort so viele Menschen unterbracht, dass der Aufenthalt dort schwer erträglich war. In Kupjansk war das die Haftanstalt für befristete Inhaftierung, die über 140 Plätze verfügt. Dort wurden jedoch über 500 Personen festgehalten. In einer Zelle für zwei Personen befanden sich neun Männer.

Nach Aussagen von Gefangenen waren die Haftbedingungen unmenschlich. Folgende Punkte wurden angeführt:

  • Überfüllung von Zellen und Räumlichkeiten

  • Stickige Luft

  • Mangel an Tageslicht

  • Mangel an Lebensmitteln und Trinkwasser

  • ungeeignete Bedingungen für den Toilettenbesuch oder Fehlen von Toiletten

  • Inhaftierung mit verbundenen Augen und in Handschellen

  • fehlende medizinische Versorgung

  • unerträgliche Kälte.

Die Foltermethoden sind überall ähnlich, auch wenn die Haftorte weit voneinander entfernt sind. Nach Aussagen der Opfer wurden folgende Methoden angewandt:

  • Prügel mit den Händen (auch in taktischen Handschuhen), Fußtritte, Schläge mit Gegenständen (Gewehrkolben, Gummiknüppeln, Schlagstöcken, Gurten u. a.) gegen Gesicht, Kopf und Körper

  • Elektroschocks (Anwendung von Elektroschockern, Anbringen von Stromleitungen an den Fingern, Ohren und der Nase des Opfers)

  • Einschnitte in den Ohren und Fingern des Opfers oder Versuche, Körperteile abzuschneiden, insbesondere der Ohren, selbst wenn solche Versuche nicht vollendet wurden

  • Scheinerschießungen.

Die meisten Zeugen berichten, dass die Folterungen von ausgesuchter Grausamkeit waren. Sie wurden so heftig geschlagen, dass sie das Bewusstsein verloren. Dutzenden der 550 Betroffenen, die sich an die Charkiver Menschenrechtsgruppe wandten, waren absolut alle Zähne ausgeschlagen worden. Bei Stromschlägen wurde durch die Stromstärke „einfach der ganze Körper gedreht….. Schaum trat aus dem Mund“, so die Schilderung eines der Opfer.

Natalja Jaschuk, © Ukrainisches Krisen-Medienzentrum

„Von 66 Zeugen, die sich im Anhang zu dieser Mitteilung finden, berichten mindestens 15 Betroffene davon, wie sie mit Füßen getreten wurden… Sie berichten, dass russische Soldaten sie brutal mit den Füßen am ganzen Körper traten, das Gesicht zerschlugen, Rippen brachen, auf den Kopf einschlugen, manchmal in den Bauch“, so Natalja Jaschtschuk vom Zentrum für Bürgerliche Freiheiten, die das Projekt zur Überwindung von Kriegsfolgen leitet.

Wenn das Ziel der Folter erreicht war, konnten die Gefangenen aus dieser Einrichtung herauskommen. Aber wenn sie sich weigerten, niederzuknien oder die russische Hymne zu singen oder „Ruhm für Russland“ zu rufen oder weiterhin Ukrainisch sprachen, oder wenn die Täter der Überzeugung waren, dass der Gefangene nicht gebrochen sei und weiterhin eine „Bedrohung für die nationale Sicherheit oder Verteidigung der Russischen Föderation“ darstelle (eine Standard-Formulierung bei der Verweigerung eines Grenzübertritts zur RF, die selbst bei Frauen von über 85 Jahren zur Anwendung kam), dann wurden sie in zeitweilig besetztes ukrainisches Gebiet oder nach Russland verbracht und weiter wegen „Widerstands gegen die ‚spezielle Militäroperation‘“ in Haft gehalten, also illegal. Denn eine derartige Einstufung gibt es weder im russischen Straf- noch im russischen Ordnungsrecht.

Oleksandr Pawlitschenko. © Ukrainisches Krisen-Medienzentrum

Die Russische Föderation ist nicht mehr im Europarat, trägt jedoch die Verantwortung für alle Handlungen, die sie zur Zeit ihrer Zugehörigkeit zu diesem Konventionssystem begangen hat. Nicht aus allen Verträgen des Europarats ist Russland ausgeschieden, es ist nach wie vor Mitglied der Europäischen Konvention gegen Folter. Und das Europäische Komitee gegen Folter hat das Mandat, Kontrollbesuche in Russland durchzuführen. Das gehört ins Bereich der Phantasie, denn man wird dort keinerlei Sicherheitsgarantien erhalten. Es gibt zwar einen rechtlichen Mechanismus, aber weder seit der Voll-Invasion noch seit 2014 hat es solche Kontroll-Besuche in den Gebieten Donezk und Luhansk gegeben. Das ist eine weitere Verletzung internationaler Abkommen durch Russland“, erklärte Oleksandr Pavlitschenko, Geschäftsführer der Helsinki- für Menschenrechte. – „Aber diese internationalen Verbindlichkeiten haben dazu geführt, dass die Ukraine und der Europarat gestern eine Vereinbarung über die Schaffung eines Sondertribunals zu Fragen der Aggression unterzeichnet haben. Das ist der Weg, den die Ukraine und 42 weitere Staaten in drei Jahren zurückgelegt haben.“

Zum 1. Juni 2025 hat T4P 990 Fälle von Folterungen dokumentiert, darunter 24 von Kindern, und zwar in folgenden Gebieten: Charkiv &ndash 559, 144 &ndash Kyjiv, 25 &ndash Zaporizhzhia, 53 &ndash Cherson, 68 &ndash Donezk, 73 &ndash Tschernihiv, 12 &ndash Luhansk, 32 &ndash Mikolajiv, 18 &ndash Sumy, 5 &ndash andere.

Die Analyse zeigt, dass Folter in großem Stil angewandt wurde, flächendeckend in den okkupierten Gebieten und systematisch, mit einheitlichen Methoden. Diese Merkmale sind erforderlich, um sie als Verbrechen gegen die Menschlichkeit qualifizieren zu können.

Jevhen Sacharov, © Ukrainisches Krisen-Medienzentrum

„Wir würdigen die Bedeutung der fortdauernden Ermittlungen des Staatsanwalts des IStGH in der Ukraine und begrüßen die Ausstellung von sechs Haftbefehlen gegen höhere politische und militärische russländische Funktionäre“, resümiert Jevhen Sacharov, Direktor der Charkiver Menschenrechtsgruppe. „Zugleich möchte die Charkiver Menschenrechtsgruppe (ChPG) die Aufmerksamkeit des IStGH-Staatsanwalts auf mutmaßliche Verbrechen von Folterungen lenken, die im Zusammenhang mit illegalen Freiheitsberaubungen begangen wurden, die in großem Ausmaß und systematisch in den besetzten Gebieten der Ukraine durchgeführt werden. Die ChPG appelliert an das Büro des IStGH-Staatsanwalts, der Untersuchung von Folterungen bei rechtswidrigen Festnahmen Priorität zu verleihen und zu klären, welche Personen auf höchster Ebene der russischen politischen und militärischen Hierarchie in Verdacht stehen, die größte Verantwortung für den Terror gegen die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten zu tragen.“

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