Im befreiten Gebiet Cherson wurden bereits 63 Leichen von Ukrainern gefunden, die von russischen Besatzern gefoltert worden waren
Nach Auskunft des ukrainischen Innenministers, Denys Monastyrskyj, wurden bereits elf Standorte in den befreiten Teilen des Gebiets Cherson gefunden, wo die russischen Besatzer ukrainische Zivilisten gefangen hielten. Bei vier dieser Gebäude ist bekannt, dass die Russen ihre Gefangenen dort folterten. Monastyrskyj teilte weiter mit, dass 63 Leichen von Opfern entdeckt worden seien, ihre Exhumierung sei im Gange. Bisher sind 436 strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet worden, bei denen es Anzeichen von Kriegsverbrechen gibt. Der Innenminister betonte jedoch, dass die Ermittler erst am Anfang stehen und dass zweifellos noch weitere Örtlichkeiten gefunden werden, wo Zivilisten gefoltert wurden und wo Opfer begraben sind.
Die abziehenden Invasoren haben überall Minen hinterlassen, auch in den Gebäuden, in denen sie Ukrainer gefangen hielten und misshandelten. Einer dieser Orte, der jetzt entmint wurde, war die Polizeistation für Kurzzeithaft in Cherson. In den Zellen dort befinden sich noch Gegenstände, die den Opfern der Invasoren gehören. Die Russen haben russische Propaganda an den Wänden hinterlassen, ebenso Propaganda-Lieder, die die Gefangenen offenbar auswendig lernen mussten. Außerdem sieht man Striche, mit denen die Gefangene ihre Tage dort markierten. Eine Geisel hinterließ auf Ukrainisch die Zeilen: „Wenn du hier lebendig herauskommst, wirst du nicht wieder hierherkommen wollen. Du wirst davon träumen, diese qualvolle Hölle zu vergessen, aber so sehr du es auch versuchst, du wirst es niemals können.“
Die Fotos von der Kurzzeithaftanstalt von Taras Ibragimov (Suspilne) zeigen auch ein Feldtelefon. Wenn man nach anderen Haftorten urteilt, wo die Invasoren zivile Geiseln hielten, wurde das Telefon anscheinend genutzt, um die Gefangenen mit Strom zu foltern. Die Kabel wurden an sensiblen Körperteilen befestigt.
Die Fotos zeigen auch ein vielsagendes Detail über die Russen, die Cherson im März 2022 eingenommen hatten. In einem Raum auf dieser Polizeistation befinden sich zahlreiche Waschmaschinen, Toiletten und andere Gegenstände, die die Invasoren offensichtlich in Privathäusern geplündert hatten. Wie zunächst schon im Gebiet Kyjiv haben die Invasoren nahezu alles geraubt, aber die Tatsache, dass sie Waschmaschinen mitnehmen konnten, um sie nach Russland zu bringen (oder in Belarus zu verkaufen), ist ein Indiz dafür, dass das russische Militärkommando dieses Marodieren zumindest geduldet hat.
Am 16. November berichtete der ukrainische Geheimdienst SBU von einer weiteren russischen „Folterkammer“, die im befreiten Cherson entdeckt wurde. Der Standort wurde nicht angegeben, es wurden aber Fotos mit Gegenständen gepostet, die wahrscheinlich bei Folterungen Verwendung fanden, z. B. eine Gasmaske (wie sie gewöhnlich beim Foltern durch Ersticken eingesetzt werden). Die Freudenszenen der Einwohner Chersons, die die ersten ukrainischen Truppen begrüßten, und die täglichen Feiern auf dem Freiheitsplatz lassen keinen Zweifel daran aufkommen, welches Ausmaß die Opposition gegen die russische Besatzung angenommen hatte. Die Russen machten vom ersten Besatzungstag an Jagd auf alle, die sie proukrainischer Ansichten verdächtigten. Im letzten Monat vor dem russischen Rückzug stieg die Zahl der Entführungen Berichten zufolge noch deutlich an. Von Anfang an standen vor allem Beamte wie Ihor Kolychaev, der Bürgermeister von Cherson, im Visier, sowie ukrainische Donbas-Kriegsveteranen und Angehörige von Soldaten, die derzeit die Ukraine verteidigen, sowie Freiwillige und Aktivisten. Dennoch konnte dieses Schicksal letztlich jeden treffen.
Ein schockierender Aspekt der russischen Invasion ist, dass die Befreiung besetzter Gebiete nicht automatisch zur Befreiung ziviler Geiseln führt. Die Invasoren haben viele Geiseln auf die besetzte Krim deportiert, wo sie entweder politische „Prozesse“ durchgeführt und lange Haftstrafen verhängt haben oder aber solche inszenierten „Gerichtsverfahren“ vorbereiten. Zu den Gefangenen gehören der ehemalige Flottenkapitän Oleksij Kiseljov, der Schriftsteller, Journalist und Aktivist Serhiy Zyhipa und Iryna Horobzova. Darüber hinaus sind Krimtataren betroffen, von denen etwa zehn bereits zu Haftstrafen von bis zu zehn Jahren verurteilt wurden oder auf Grund surrealer und völlig illegaler Anklagen ähnliche Urteile zu erwarten haben. Während die Leichen einiger Folteropfer der Russen bereits vor Monaten entdeckt wurden, wie die der ukrainischen Patrioten und Freiwilligen Denys Myronov und Vitalij Laptschuk, sind viele Ukrainer einfach verschwunden. So warten viele Familien jetzt angstvoll auf Informationen über die aufgefundenen Leichen.
S. a. In der Dorfschule im Gebiet Cherson haben Russen ukrainische Zivilisten grausam gefoltert und manchmal auch ermordet.